Am 16. November schickte Europas führender Premium-Fahrradanbieter Accell Group eine Pressemitteilung heraus, die einige wichtige Detailfragen elegant umfuhr. Lediglich zwei Hauptaussagen wurden klar benannt: Erstens werden die Holländer die Aktivitäten ihrer Tochter Accell Nordamerika (Accell NA) weiter an die sich verändernden Marktkonditionen (Stichwort Omnichannel-Vertriebsstrategie) anpassen. Damit reagiert man auf die dort weiter anhaltende Misere. So richtig erfolgreich ist das im Vergleich junge Nordamerika-Geschäft nie geworden. Zweitens ergibt sich daraus für das börsennotierte Unternehmen, dass das operative Gesamtergebnis des laufenden Geschäftsjahres 2017 belastet wird. Anders ausgedrückt: In der Meldung über die Schwäche und Reorganisation des Nordamerika-Geschäfts steckt auch eine Gewinnwarnung. Frei nach dem Motto: Umsatz weltweit zwar rauf – Gewinn trotzdem runter.
Mit einer radikalen Umstrukturierung, der auch das nordamerikanische Senior-Management zum Opfer fällt, reagiert Accell Group auf die derzeit sehr schwierige (US-)Fahrradmarkt-Situation. Die von den Holländern in Nordamerika getätigten traditionellen Bikeverkäufe über den Fahrrad-Fachhandel und Multisport-Anbieter (oftmals Filialisten) seien dort schon länger unter starken Druck. Zudem ist es gerade zu einer unerwarteten Vertragskündigung mit einem großen Multisport-Filialisten gekommen. Auch wenn dessen Name nicht explizit genannt wird: Es handelt sich um Dick’s Sporting Goods (der vor allem die zu Accell NA gehörende Marke Diamondback lange führte).
Deshalb will Accell NA die komplette Organisation sowie den Warenbestand (vor allem für den Vertriebskanal Multisport-Filialisten) drastisch herunterfahren. Außerdem wurde das Senior-Management aufgelöst – wobei einige geschäftsführende Manager wie zum Beispiel US-Branchenveteran und Managing Director Chris Speyer bereits im Oktober ausgeschieden sind (Speyer heuerte als Vice President of Private Brands beim Fahrradprodukt-verkaufenden Outdoor-Filialisten REI an, der unter anderem die Accell-Marke Ghost Bikes exklusiv in den USA führt).
Laut Pressemeldung werden die Aktivitäten des nordamerikanischen Accell Senior-Managements »voll integriert«. Integriert in die Accell Group Zentrale in den Niederlanden oder was? Nachgehakt bei Accell Group CFO Hielke Sybesma in der holländischen Firmenzentrale erklärt er dem RadMarkt, dass man das Amerika-Geschäft nicht von Europa aus lenken könnte. Aber: »Die bestehenden nordamerikanischen Geschäftsbereiche werden so umstrukturiert, dass sie künftig enger zusammenarbeiten.« Mehr Details wollte er allerdings zum Zeitpunkt dieses Schreibens nicht verraten.
Nur soviel: Larry Pizzi – bisher Präsident von der Accell NA E-Bike-Division Raleigh Electric und dem Electric Bike Competence Center, North America (EBCC-NA) – bleibt an Bord. Allerdings in einer andere Rolle: Künftig ist er laut Sybesma für den Verkauf aller in Nordamerika angebotenen Accell-Marken verantwortlich. Ob die in Kalifornien ansässige E-Bike-Divisionzentrale so bestehen bleibt und welche Rolle die bisher ebenfalls separat geführte Premium-E-Bike-Marke Haibike spielt, ist zum Zeitpunkt dieses Schreibens nicht zu erfahren. Momentan hat Haibike-USA noch ein Büro in Colorado.
Zu den nun kommunizierten Umstrukturierungen meint der neue Accell Group CEO Ton Anbeek: »Im letzten Jahr sind viele harte und zielorientierte Maßnahmen in unsere neue Nordamerika- und Europa-Strategie eingeflossen. In den kommenden Jahren erwarten wir für unser Geschäft – was den Umsatz, das Gesamtergebnis und Betriebskapital betrifft – einen klaren Wendetrend unserer Unternehmens-Performance. Speziell in Nordamerika, wo die E-Bike-Entwicklung einige Jahre hinter der in Europa hinterher hinkt, sehen wir solide Chancen im Sektor Omnichannel-Vertrieb. Somit sehen wir auch in dieser Region echtes Potential für Zukunftswachstum.«
Insgesamt geht Accell Group davon aus, in der diesjährigen zweiten Jahreshälfte die Umsätze des zweiten Halbjahres 2016 zu überbieten. Allerdings würden sich die starken Verkaufsrückgänge in Nordamerika negativ auf das operative Gesamtergebnis auswirken. Die Restrukturierung des Nordamerika-Geschäfts inklusive der Reduzierung von Lagerbeständen würde sich mit circa 5 Millionen Euro negativ auf das Gesamtergebnis auswirken. Somit würde das Gesamtergebnis 2017 sicherlich auch unter dem des Vorjahres liegen. Zudem habe die Umsetzung der neuen Gruppenstrategie hin zum Omnichannel-Vertrieb in der zweiten Jahreshälfte 2017 auch zu höheren Kosten geführt.
Text: Jo Beckendorff, Foto: Accell Group