Karlsruhe hat Münster als angestammte Siegerstadt beim ADFC-Fahrradklima-Test entthront: Karlsruhe wurde erstmals fahrradfreundlichste Stadt in der Größenklasse zwischen 200.000 und 500.000 Einwohnern und verweis Münster auf Platz zwei. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer zeichnete die fahrradfreundlichen Städte am 9. April in seinem Ministerium aus. Das Prädikat »familienfreundlichste Fahrradstadt Deutschlands« ging an Wettringen. Insgesamt bewerteten die Radler das Fahrradklima in ihren Städten allerdings schlechter: Die Gesamtnote sank von 3,8 auf 3,9.
Die Ergebnisse im Einzelnen:
- In der Klasse der Städte über 500.000 Einwohner darf sich Bremen (Note 3,5) als die fahrradfreundlichste Stadt rühmen, gefolgt von Hannover (3,8) und Leipzig (3,9).
- In der Klasse der Städte über 200.000 Einwohner folgt auf Karlsruhe (Note 3,1) und Münster (3,3) noch Freiburg (3,4) auf Platz 3. Münster verlor die Top-Platzierung, weil nach Auffassung der Befragten in Münster in jüngster Zeit nicht genug für die Fahrradförderung getan wurde. Fehlende Abstellanlagen und häufiger Fahrraddiebstahl wurden ebenfalls kritisch bewertet.
- In der Klasse über 100.000 Einwohner wurde Göttingen am besten bewertet (Note 3,3), vor Erlangen (3,4) und Oldenburg (3,5).
- Über 50.000 Einwohner schnitten am besten ab: Bocholt (Note 2,4), Nordhorn (2,6) und Konstanz (3,1),
- über 20.000 Einwohner Baunatal (Note 2,7), Ingelheim am Rhein (2,7) und Rees (3,0).
- In der Klasse unter 20.000 Einwohner kam Reken (Note 2,0) auf Platz 1, Wettringen (2,0) und Heek (2,4) auf Platz 2 und 3.
Am stärksten seit dem letzten ADFC-Fahrradklima-Test aufgeholt haben jeweils in ihrer Größenklasse Berlin (Note 4,3), Wiesbaden (Note 4,4), Offenbach (Note 3,6), Konstanz (Note 3,1), Emmendingen (Note 3,5) und Oschatz (Note 4,0).
Rebecca Peters, Mitglied des ADFC-Bundesvorstands: »An Berlin sehen wir, dass es von den Radfahrenden schon als positiv bewertet wird, wenn die Stadt sich auf den Weg macht, bessere Bedingungen für den Radverkehr zu schaffen.«
Den Sonderpreis als familienfreundlichste Fahrradstadt erhielt die Stadt Wettringen (Note 2,0). Hier vertraten die Menschen mehrheitlich die Meinung, dass man auch Kinder ohne schlechtes Gewissen allein mit dem Rad fahren lassen könne – und dass es genug Platz auf den Radwegen gibt, um auch mit Kinderanhänger oder Lastenrad bequem unterwegs zu sein. Schlusslichter in ihren Größenklassen sind Köln (Note 4,4), Wiesbaden (4,4), Remscheid (4,7), Lüdenscheid (4,7), Hof (4,8) und Dittelsheim-Heßloch (4,7).
Fahrradklima leicht verschlechtert
Das Fahrradklima, also die Zufriedenheit der Befragten beim Radfahren, hat sich nach Einschätzung der 170.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in der nicht-repräsentativen Online-Umfrage des ADFC weiter verschlechtert. 2014 wurde das Fahrradklima noch mit 3,7 bewertet, 2016 mit 3,8 – 2018 mit 3,9. Besonders bedenklich ist der Trend, dass die Menschen sich immer unsicherer beim Radfahren fühlen (Note 4,2 gegenüber 3,9 in 2016).
Falschparker und zu schmale Radwege machen Probleme
Am meisten bemängelt wurde ein zu lascher Umgang mit Falschparkern (Note 4,5). Außerdem ärgert Radfahrende eine schlechte Führung des Radverkehrs an Baustellen (Note 4,5). Ebenfalls großen Nervfaktor entwickeln Ampelschaltungen für Radfahrer (Note 4,4) und zu schmale Radwege (Note 4,4).
Was Radler hingegen positiv bewerten sind die gute Erreichbarkeit des Stadtzentrums (Note 2,8), die Möglichkeit zum zügigen Radfahren (Note 3,0) und die Öffnung von Einbahnstraßen in Gegenrichtung für Radfahrende (Note 3,2). Die Zusatzfragen haben ergeben, dass es den Befragten am wichtigsten ist, auf dem Rad als Verkehrsteilnehmer akzeptiert zu werden, sich sicher zu fühlen, hindernisfreie Radwege vorzufinden, wenig Konflikte mit Fußgängern zu haben und auf breiten Wegen für den Radverkehr unterwegs zu sein. 81 Prozent der Befragten ist es wichtig, vom Autoverkehr getrennt Rad zu fahren, unter den Frauen sind es sogar 86 Prozent.
»Bei uns klingeln die Alarmglocken, wenn wir sehen, dass Radfahrerende sich nicht sicher fühlen,« kommentierte Rebecca Peters, »denn wir wissen, dass ungute Gefühle beim Radfahren, Stress und Angst die Menschen vom Radfahren abhalten. Dagegen müssen wir etwas unternehmen. Wir brauchen gute, breite Radwege, getrennt vom starken Autoverkehr, durchgängige Netze, Radschnellwege für Pendler und viel mehr komfortable Fahrradparkhäuser. Denn mehr Radverkehr ist gut für alle: Menschen, Städte und das Klima.«
Verkehrsminister Andreas Scheuer, dessen Ministerium den Test seit acht Jahren fördert, erklärte: »Die heutigen Preisträger zeigen: Langjähriges Engagement und konsequente Radverkehrsförderung in den Kommunen zahlen sich aus. Ich wünsche mir viele Nachahmer. Der Fahrradklima-Test zeigt den Städten und Kommunen auf, wo sie ansetzen können, um den Radverkehr vor Ort weiter zu verbessern.« Er betonte, dass es die Städte und Kommunen sind, die für die Radwege vor Ort zuständig seien. Das Bundesverkehrsministerium fördere Radwege an Bundesstraßen, Radschnellwege, innovative Modellprojekte wie zum Beispiel zur Erprobung von Lastenrädern in Logistikketten, Abbiegeassistenten oder sogar Stiftungsprofessuren für die Forschung und die Ausbildung von Fachpersonal. Scheuer: »Ich fordere die Kommunen auf, die Bundesmittel noch stärker zu nutzen. Das Bundesverkehrsministerium stellt 2019 allein rund 200 Millionen Euro Fördermittel für den Radverkehr bereit. Gemeinsam können wir das Fahrradklima mit neuen Maßnahmen wie attraktiven Radschnellwegen weiter verbessern.«
VSF (Verbund Service und Fahrrad)-Geschäftsführer Albert Herresthal freute sich über die politische Aufmerksamkeit, die dem Thema Radverkehr durch die Preisverleihung im Bundesministerium für Verkehr zuteil wurde: »Heute haben wir im BMVI etwas erlebt, was ein Stück Normalität sein sollte und es hoffentlich künftig auch wird: Der Bundesverkehrsminister spricht engagiert auf einer Veranstaltung zum Radverkehr, er bekennt sich ausdrücklich zu seiner Verantwortung für den Radverkehr und er nimmt sich Zeit für das Thema. Der VSF begrüßt diese Entwicklung und ist mit dem BMVI im Gespräch, damit dies keine Eintagsfliege bleibt.«
vz/Fotos: ADFC