Wenn renommierten Banken in ihrem aktuellen Marktlage-Berichten schon auf die Problematik der globalen Lieferketten-Unterbrechungen zu sprechen kommt, lässt sich erahnen, welchen Einfluss die Ausbreitung des Corona-Virus bereits auf die Weltwirtschaft hat. Das betrifft natürlich nicht nur, aber eben auch die globale Fahrradbranche. Die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) verweist mit Blick auf den Corona-Virus ebenfalls auf eine nicht mehr zu verleugnende globale Konjunkturdelle. Ansonsten lassen unterschiedlich durchgespielte (Viren-)Szenarien zum Zeitpunkt dieses Schreibens keine klaren Konjunkturprognosen zu.
In einem Schreiben der französischen Großbank BNP Paribas S.A. (unter anderem Mutter der deutschen Direktbank-Marke Consors) vom 2. März verweisen deren Investment-Banker auf Neubewertungen von Ökonomen und Analysten, die gleich nach dem letztwöchigen »Schwarzen Schwan«-Szenario am globalen Aktienmarkt ihre bisherigen Prognosen für das diesjährige Wirtschafts- und Gewinnwachstum nach unten korrigierten. Die internationale Kapitalwelt bezeichnet ein nicht vorhersehbares Börsenereignis als »schwarzen Schwan«, das aus dem Nichts entsteht und letztendlich zu panikartigen Verkäufen führt. Genau das geschah am Rosenmontag, nachdem ersten Corona-Ausbrüche in Europa (anfangs genauer gesagt in Italien) die Runde machten.
Wachsende Marktrisiken
Nach dem letztwöchigen kollektiven Kurseinbruch spricht PNB jetzt von durch die wachsende Ausbreitung des Corona-Virus ausgelösten steigenden Marktrisiken, die die allgemeine und nicht nur die Aktienwelt betreffen. Unter anderem heißt es dort, dass es bereits Hinweise zu Unterbrechungen der Lieferketten gibt: »So ist die Lieferzeit der Werkszulieferer vor allem in Deutschland und Japan inzwischen länger als normal. Hochfrequenzdaten aus China zeigen, dass der tägliche Kohleverbrauch der sechs großen Stromerzeuger zwar anzieht, aber immer noch 40 Prozent unter historischen Durchschnittswerten liegt.«
Weltfabrik China hängt weiter am Tropf
Anders ausgedrückt: Die Produktion der »Weltfabrik« China ist – selbst wenn es dort bereits auch in der Fahrradbranche wieder erste Wiederaufnahmen des Produktionsbetriebs gibt – noch lange nicht über den Berg. Und die bereits wieder durchstartenden Fabriken werden ihre Zeit brauchen, bis ihre Produktion wieder auf voller Kapazität laufen. Die Formel »von Null auf 100« ist in einer Produktion, wo ein Rädchen ins andere greift, nicht von jetzt auf gleich umzusetzen.
In diesem Zusammenhang noch der Hinweis, dass China und Japan für Deutschland der größte und zweitgrößte Handelspartner der Region sind. Zudem ist die vom Export lebende deutsche Wirtschaft nicht nur von der eingebrochenen Nachfrage in China direkt betroffen, die durch die dortige aktuelle Lage komplett zusammengebrochen ist, sondern auch von der unterbrochenen Lieferkette. Letzteres werden deutsche Unternehmen etwas zeitversetzt vor allem in den kommenden Tagen spüren, wenn erwartete Schiffslieferungen mit wichtigen Bauteilen aus China ausbleiben. Selbst das kleinste fehlende Bauteil kann die Produktion komplett zum Erliegen bringen. Um in der Fahrradwelt zu bleiben: fehlt heimischen Montagebetrieben auch nur ein kleines »Made in China«-Zahnrädchen, kommt die Bikemontage komplett zum Erliegen.
Kurz- oder langfristiger Einbruch?
In der Vergangenheit hatte BNP hervorgehoben, »dass der wirtschaftliche Schock kurz, aber hart sein wird«. Die Banker verweisen aber auch darauf, dass »der gesamte wirtschaftliche Schaden des Ausbruchs zweifellos davon abhängt, wie schnell die Epidemie als ‚unter Kontrolle‘ erachtet wird und ob sie einen viel größeren Teil der Welt betrifft, was derzeit nicht bekannt ist und weitverbreitet Angst hervorruft«.
Zum jetzigen Zeitpunkt lautet das vorsichtige Banken-Basisszenario, dass »die negativen Auswirkungen der Epidemie nur von kurzer Dauer sein könnten. Werden wir jedoch in China noch in diesem Jahr eine schnellere Erholung und ein globales Wachstum sehen, oder wird es länger dauern? Das Timing am Markt ist sehr schwierig«.
Worst case: halbiertes globales Wachstum
Wie schwierig die aktuelle Situation bereits ist, macht ein Blick auf aktuelle Aussagen der OECD klar: sollte sich die derzeitige Lage, die schon vor dem Virus und mit Blick auf ungelöste Handelskonflikte sowie politische Spannungen nicht rosig war, nicht verbessern, könnte das weltweite Wirtschaftswachstum 2020 bis auf 1,5 Prozent sinken. Sollte sich die Lage stabilisieren, rechnet die OECD immerhin noch mit einem globalen Wachstum von 2,4 Prozent (2019: 2,9 Prozent). Wobei die OECD-Experten darauf hinweisen, dass die Wirtschaft in China, der Euro-Zone sowie Japan je nach Verlauf sogar zwischenzeitlich schrumpfen könnte.
Rettungsanker Konjunkturhilfen?
Sollte es allerdings sowohl in den USA als auch Europa zu einem großflächigen Ausbruch des Virus kommen, wird laut BNP nicht nur der Aktienmarkt weiter fallen. Einziger Lichtblick am Ende des Tunnels: um die Volkswirtschaften durch diese schwierigen Zeiten zu lotsen, werden sich »die Fed und andere Zentralbanken sowie die Regierungen weltweit sicher stark an geld- und finanzpolitischen Lockerungsmaßnahmen beteiligen«. Finanzminister diskutieren bereits gemeinsame Konjunkturhilfen.
BNP meint zudem, dass die Märkte bereits drei Zinssenkungen für dieses Jahr eingepreist hätten. Außerdem gibt es Hinweise, »dass die EU wahrscheinlich Ausnahmeregelungen in der EU-Finanzpolitik für jene Länder zulassen sollte, die vom Ausbruch des Corona-Virus betroffen sind.« Dies betrifft zusätzliche Gelder, die aufgewendet werden müssen, um die Epidemie zu bekämpfen.
Politische Entscheidungen
EZB-Präsidentin Christine Lagarde bekräftigte dies bereits und forderte die Regierungen der Eurozone auf, ihren Haushaltsspielraum zu nutzen, um das Wachstum angesichts der konjunkturellen Abschwächung in der Eurozone und insbesondere unter den gegenwärtigen Umständen anzukurbeln. Selbst der ansonsten knauserige deutsche Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat sich letztens mit Blick auf den Corona-Virus offen für ein Konjunkturprogramm gezeigt. Wenn es die Lage erfordere, einen Konjunkturimpuls zu setzen, würde er diesbezügliche Mittel zur Verfügung stellen.
Einziger Haken: jegliche Konjunkturprogramme führen wie die bereits vorgenommenen Zinssenkungen auch zur weiteren Verschuldung. Allerdings verweisen Wirtschaftsexperten darauf, dass genau jetzt die Zeit gekommen ist, tiefer in die Tasche zu greifen, sodass aus der durch den Corona-Virus ausgelöste aktuelle globale Konjunkturdelle keine globale Rezession erwächst.
Text: Jo Beckendorff, Foto: www.hafen-hamburg.de, © HHM/Hasenpusch