In seinem Februar-Newletter verweist der Europäische Fahrradindustrie-Verband EBMA auf ein Interview, das Moreno Fioravanti (Bild unten) dem spanischen Sport-Fachmagazin CMD Sports gewährt hat. Dabei zieht der EBMA-Generalsekretär eine positive Bilanz. Nachdem die EU vor etwa einem Jahr auf Betreiben der EBMA und zum Schutz der heimischen Industrie einen ersten Antidumping-Strafzoll auf E-Bikes Made in China verhängt hatte, habe die E-Bike-Produktion in der EU in nur einem Jahr ein mehr als 100-prozentiges Wachstum verzeichnet. Und: in den nächsten fünf Jahren soll laut Fioravanti »noch viel mehr kommen; nicht nur wegen der Anti-Dumping-Maßnahmen«.
Tatsache ist, dass in Bulgarien, Portugal, Rumänien und sogar in der Türkei umfängliche Produktionsstandorte entstanden sind bzw. entstehen, die unter anderem auch in eigene Leichtmetall-Rahmenproduktionen für E-Bikes investieren. In Belgien hat sogar eine neue Karbonrahmen-Produktion den Betrieb aufgenommen. An besagten europäischen Standorten lassen sich nun – um dortige Produzenten besser bedienen zu können – sogar neben taiwanesischen Anbietern auch erste ehemalige chinesische Exporteure nieder, während sich laut EBMA »ehemalige Importeure mit Sitz in der EU in Produzenten verwandeln«.
Mehr Rückenwind für eine marktnahe Produktion
Diese Entwicklungen und die damit verbundenen großen Investitionen ausschließlich auf die letztjährigen Antidumping-Maßnahmen zurückzuführen, geht allerdings zu weit. Auch andere Marktkräfte spielen hier eine große Rolle. Der schnell wachsende Online-Verkauf beispielsweise zwingt die Produktion zu einer wesentlich schnelleren und flexibleren Abwicklung, was bei langen Lieferwegen bis nach Asien fast unmöglich ist. Oder die Tatsache, dass hochwertigere E-Bikes immer mehr Betriebskapital binden – von dem Geld, das durch die Lagerbestände sowie den monatelangen Transport aus Asien gebunden ist, erst gar nicht zu sprechen. Anmerkung des RadMarkts: die Auswirkungen des allmählich global grassierendem Corona-Virus sind hier noch nicht einmal berücksichtigt. Sicherlich werden auch daraus letztendlich Umorientierungs-Wünsche Richtung mehr marktnaher Produktion forciert werden.
All dies sind Anreize für eine weitaus größere Produktion in Europa. Die verhängten Dumping-Maßnahmen haben also allenfalls einen letzten Anstoß für das »Insourcing« in Europa gegeben.
Mehr Produktion = mehr Jobs
In diesem Zusammenhang spricht Moreno Fioravanti im besagten Interview natürlich auch von »mehr Produktion und mehr Arbeitsplätzen«. Seine Rechnung lautet wie folgt: »Wenn man die Produktion von 1,3 bis 1,4 Millionen E-Bikes im Jahr 2017 mit der Produktion von 2,3 bis 2,4 Millionen im Jahr 2019 vergleicht, kommt man auf fast das Doppelte«.
Er behauptet sogar, dass »für die Herstellung von je 1.000 E-Bikes mehr pro Jahr zwischen vier und fünf nachhaltige und langfristige Arbeitsplätze geschaffen werden – insbesondere von hochqualifizierten jungen Menschen und jungen Elektronik-Ingenieuren. Damit verbunden ist die Schaffung von rund 5.000 neuen direkten Arbeitsplätzen pro Jahr.« Ob diese hochqualifizierten Menschen tatsächlich auch verfügbar sind, steht beim aktuellen Fachkräftemangel auf einem anderen Stern.
Wie auch immer – laut Fioravanti »beschäftigen wir derzeit in der EU 110.000 Fachkräfte in insgesamt 900 kleinen und mittleren Unternehmen in 24 der 28 EU-Mitgliedsstaaten. Diese Unternehmen und ihre Arbeitnehmer sind unser größtes Kapital. Tatsächlich sind wir die innovativste Fahrradindustrie der Welt.«
EBMA-Zukunftsrechnung
Mit den neuen Produktionsstandorten und deren Innovationskraft im Rücken schaut der EBMA-Generalsekretär auch äußerst optimistisch in die Zukunft. Fioravanti erwartet, dass die Produktion in der EU »in den nächsten fünf oder sechs Jahren auf 7 oder 8 Millionen E-Bikes pro Jahr gesteigert werden kann – wobei die Zahl unserer ‚grünen Arbeitsplätze‘ um 50 bis 60 Prozent von 110.000 auf 160.000 oder 170.000 anwachsen wird. Auch kleinere und mittlere Fahrrad-, E-Bike- und Komponenten-Anbieter werden fortschrittlichere Technologien und Innovationen entwickeln, die auch die Sicherheit verbessern und etwaige Unfälle verhindern werden«.
Advantage Trend-Thema Nachhaltigkeit
Letztendlich verweist der EBMA-Generalsekretär clever darauf, dass eine marktnahe Produktion in der EU eine radikale Reduzierung von CO² und anderen gefährlichen Emissionen bedeutet. Denn, so Fioravantis Rechnung: »Jedes aus China importierte konventionelle Fahrrad oder E-Bike verursacht 91 bis 123 Kilogramm gefährliche zusätzliche Emissionen im Vergleich zur lokalen Produktion. Wenn die jährlich etwa 20 Millionen in der EU getätigten E-Bike-Verkäufe aus China importiert würden, käme das zu einem Anstieg der Emissionen von etwa zwei Millionen Tonnen CO² und Schwefeldioxiden. Etwa 50 Prozent dieser Emissionen würden aus der billigen Produktion von Eisen, Aluminium, Chemikalien und Energie in China stammen, wo noch bis 2050 massiv Kohle eingesetzt wird. Weitere 50 Prozent resultieren dann noch aus dem Skandal resultieren, dass die eingesetzten Container-Frachtschiffe immer noch schädliche und nicht neu definierte Brennstoffe verwenden. Die Emissionen von Containerschiffen sind eine der größeren Verschmutzungsquellen in der Europäischen Union«.
Weitere EU-Strafzoll-Verfahren gegen China laufen
Apropos Aluminium-Produktion: in ihrem Februar-Newsletter verweist EBMA unter anderem auch auf ein weiteres eingeleitetes Antidumping-Verfahren seitens der EU gegen China. Diesmal sind die Einfuhren von Aluminium-Extrusionen (Alu-Strangpress-Profile) mit Ursprung in der Volksrepublik China betroffen, die den heimischen EU-Anbietern Probleme bereiten. Am 3. Januar 2020 hat European Aluminium – laut eigenen Angaben »die Stimme der europäischen Aluminium-Industrie« – einen diesbezüglichen Antrag bei der verantwortlichen EU-Kommission eingereicht.
European Aluminium stellte diesen Antrag im Namen von sieben europäischen Herstellern, die mehr als 25 Prozent der gesamten Aluminium-Extrusion der Europäischen Union in ihren Händen halten. Diese behaupten, dass »die Einfuhren von stranggepresstem Aluminium mit Ursprung in der Volksrepublik China gedumpt sind und dadurch dem Wirtschaftszweig der Union eine Schädigung verursachen«.
Interessant zu wissen: bei besagter Ware handelt es sich unter anderem auch um Alu-Rohre (u.a. legiert) – und zwar um jene »mit einem Aluminiumgehalt von höchstens 99,3 Prozent«.
Mehr zum Europäischen Fahrradindustrie-Verband EBMA und seinen Aktivitäten unter www.ebma-brussels.eu.
Text: Jo Beckendorff, Abb.: EBMA, Foto: Moreno Fioravanti (privat)