Gestern (4. Juni) informierte die EU offiziell über ihre Bekanntmachungen im Amtsblatt unter dem Zeichen 2018/C 189/05 (siehe hier) darüber, »die Einleitung einer Überprüfung des bevorstehenden Außerkrafttretens der Antidumping-Maßnahmen gegenüber den Einfuhren von Fahrrädern mit Ursprung in der Volksrepublik China« stattzugeben. Sogleich meldete sich gestern auch der Europäische Fahrrad-Industrieverband EBMA zu Wort. Er begrüßt die Entscheidung der verantwortlichen EU-Kommission, oben genannte Auslaufüberprüfung einzuleiten.
O-Ton EBMA-Generalsekretär Moreno Fioravanti: »Wir sind der Ansicht, dass die Europäische Kommission nach ihrer Untersuchung zu dem Schluss kommen wird, weitere Abwehrmaßnahmen fortzusetzen. Andernfalls wird China massiv mit dem Dumping fortfahren und der europäischen Fahrradindustrie Schaden zufügen.«
In diesem Fall geht es wie gesagt nicht um die letztens von der EBMA eingereichte Beschwerde hinsichtlich billiger E-Bike-Importe aus China in den EU-Markt, sondern um die derzeit noch bestehenden Anti-Dumping-Strafzöllen auf konventionelle »Made in China«-Fahrräder, mit denen die europäischen Produzenten derzeit noch geschützt werden.
Fioravanti fasst den Sachverhalt wie folgt zusammen: »Die EU erhebt derzeit einen Anti-Dumping-Strafzoll in Höhe von 48,5 Prozent auf importierte Fahrräder aus China. Anfang März 2018 hatte die EBMA bei der Europäischen Kommission einen Antrag auf Verlängerung des diesbezüglichen Strafzolls gestellt. Dieser wäre am 6. Juni 2018 ausgelaufen. Ohne diese ‚Ausgleichszahlung’ würden chinesische Hersteller den EU-Markt mit gedumpten Fahrrädern überfluten – und somit die europäischen Fahrradproduzenten aus dem Markt drängen, wie das bereits in den USA und Japan geschehen ist.«
Um einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten müsse die EU die bestehenden Strafzölle auf konventionelle Fahrräder aus China verlängern. Nur so könnten – O-Ton EBMA – »Benchmark-Innovationen wie die Pedal-Assist E-Bikes von der EU-Industrie entwickelt sowie grüne Arbeitsplätze und Wachstum in Europa gesichert werden.«
Hier noch mal der RadMarkt-Hinweis, dass »pedal assist« und Mittelmotor eine Erfindung aus Japan und nicht aus der EU ist. Richtig ist allerdings, dass der europäische Mittelmotor-Marktführer Bosch Ebike Systems dieses Thema in Europa richtig angekurbelt hat – und quasi als Auslöser des hiesigen E-Bike-Booms angesehen werden kann.
Wie auch immer: Die Fahrrad-, E-Bike- und Komponentenindustrie der EU generiert laut EBMA »jährlich über 1 Milliarden Euro an EU-Investitionen und rund 12 Milliarden Euro an Industrieproduktion«. Zudem sei die Fahrrad- und E-Bike-Industrie einer der größten Arbeitgeber der »grünen EU-Branchen«. Insgesamt beschäftige sie 90.000 direkte und indirekte Arbeitsplätze auf dem Unionsmarkt – wobei mehr als 800 KMUs (Anmerkung des RadMarkts: »Kleinere und Mittlere Unternehmen«) in 20 der 28 Mitgliedstaaten direkt in der Fahrrad-, Pedal-Assist-E-Bike- und Fahrradkomponenten-Produktion oder in vom EU-Fahrradmarkt-Arbeitsmarkt abhängigen Arbeitsplätzen tätig sind.
Fioravanti geht sogar noch einige Schritte weiter: »Angetrieben von illegalen Subventionen und massiven Überkapazitäten ist China bereit, den EU-Fahrradmarkt mit Hilfe von Dumping und weiteren Umgehungen wie zum Beispiel einer Marktüberflutung minderwertiger Fahrräder für sich zu gewinnen.«
Fakt ist: Der 13. Fünfjahresplan der chinesischen Regierung sieht eine Konsolidierung in der chinesischen Fahrradindustrie vor. Somit sollen laut EBMA nationale und internationale Champions kreiert werden, die mehr als »nur billig« können. O-Ton EBMA: »Der größte chinesische Fahrradhersteller Fushida erhält massive Subventionen seitens der Zentral- und Lokalregierung. Dadurch werden Produktions-Überkapazitäten verstärkt, die die gesamte EU-Nachfrage übersteigen.«
Der Fairness halber sei hier angemerkt, dass die Fahrrad-Produzenten der EU auch hier und da mit Subventionen gesegnet sind. Was allerdings ins Auge sticht: Im Jahr 2017 hätten Chinas Fahrradproduzenten rund 130 Millionen Fahrräder produziert. Zum Vergleich: Die weltweite Nachfrage liege derzeit bei 120 Millionen Einheiten.
Und, so die EBMA weiter: Im Laufe der Jahre hätten Chinas Produzenten immer wieder versucht, den EU-Strafzoll mit allen Mitteln zu umgehen. So habe die EU-Kommission bereits in zwei aufeinanderfolgenden Untersuchungen im Jahr 2013 und 2015 nachweislich festgestellt, dass man den Strafzoll via sogenannter Satellitenproduzenten in nicht weniger als sieben Länder – Indonesien, Malaysia, Sri Lanka, Tunesien, Kambodscha, Pakistan und die Philippinen habe umgehen wollen.
Last but not least verweist EBMA auf die laut seinen Angaben »drei größten chinesischen Bikesharing-Unternehmen Ofo, Mobike und Obike«. Auch hier liegt die EBMA leider nicht ganz richtig: Zwar mögen auch chinesische IT-Unternehmen hinter Obike stecken. Der Unternehmenssitz ist allerdings Singapur und nicht China.
Auf jeden Fall haben diese drei Anbieter im letzten Jahr ihr Mietrad-Geschäft mit einem gewaltigen Anstieg der internationalen Exporte gedumpter Billig-Fahrräder ausgebaut. So wurden diese Bikes – die letzten freien Ecken sowie offiziellen Fahrrad-Parkplätze in urbanen Ballungsgebieten verstopfend – in einigen europäischen Städten wie zum Beispiel München zum regelrechten Hassobjekt.
Somit seien die Fahrrad-Exporte aus China in die EU auch von 1,438 Millionen Einheiten in 2016 auf 1,658 Einheiten in 2017 gestiegen. Der Anstieg von 15,3 Prozent sei vor allem auf die Billig-Mietrad-Exporte aus China in die EU zurückzuführen. Und, so die EBMA: »Der Anstieg der chinesischen Exporte in die EU fand trotz eines Rückgangs des gesamten Fahrradverkäufe in der EU statt.« Anmerkung des RadMarkts: Wir sprechen hier von Stückzahlen und nicht Umsatz. Der ist nämlich trotz rückläufiger Fahrradverkäufe und dank wachsender E-Bike-Verkäufe in vielen EU-Ländern gestiegen.
EBMA-Fazit: »Wegen ihrer negativen Auswirkungen sowohl auf die Fahrrad-Nachfrage als auch das innerstädtische Umfeld auf der einen und der schlechten Qualität der chinesischen Mieträder auf der anderen Seite stellen diese Bikeimporte aus China eine Bedrohung der EU-Fahrradindustrie und -Städte dar. Die massive Überversorgung des Marktes mit Bikesharing-Bikes mit ihren mehr als 20 Millionen Einheiten in gerade einmal einem Jahr haben zu einem großen Rückgang in Höhe von mehr als 50 Prozent der Fahrrad- und E-Bike Produktion und den Verkauf innerhalb der EU geführt! Zur gleichen Zeit haben umfangreiche ”Mietrad-Friedhöfe“ eine enorme Störung des Verkehrs und der Stadtlandschaft, der Umwelt und der Gesundheit verursacht. Gegenwärtig ist der Export von chinesischen Bikesharing-Bikes in die EU viel niedriger ausgefallen als er ausfallen würde, wenn der bestehende EU-Strafzoll aufgehoben würde. Daher fordert die EBMA die Europäische Kommission auf, die EU-Antidumping-Maßnahmen auf konventionelle Fahrräder aus China auf EU-Ebene über den 6. Juni 2018 hinaus zu verlängern.«
Text: Jo Beckendorff