Wie schnell das Thema Mietrad-Systeme in der nach nachhaltiger Mobilität lechzender urbanen Welt durchgestartet ist wird einem bewusst, wenn man die am 22. April veröffentlichte Pressemeldung des laut Eigenangaben weltweit größten stationslosen Mietrad-Systemanbieters Mobike liest: Genau an diesem Tag feierte der chinesische Startup seinen gerade einmal zweiten Geburtstag.
Am 22. April 2016 war Newcomer Mobike durchgestartet – und zwar in Schanghai. Mittlerweile ist der Leihfahrrad-Anbieter »mit 8 Millionen Fahrrädern in über 200 Städten weltweit der größte Anbieter auf dem Markt«. Diese von Mobike kommunizierten Einheiten können wir nicht überprüfen, sollten aber stimmen. Fakt ist aber auch: Mobike hat sich anfangs auch als erstes stationsloser Mietrad-Systemanbieter vorgestellt. Dabei haben die Chinesen Anbieter wie beispielsweise den deutschen stationslosen Mietrad-Systempionier Call a Bike einfach ignoriert.
Wie auch immer – laut Informationen aus China hatte Mobike-Gründerin Hu WeiWei »das Bedürfnis nach einer neuen, flexiblen und nachhaltigen Mobilitätslösung in Großstädten gesehen und mit Mobike einen wichtigen Grundstein für die Entwicklung von Smart Cities gelegt«. In Europa schlug Mobike erstmals 2017 auf. Nach dem Debüt in London und Mailand ging es im November erstmals nach Deutschland – und zwar nach Berlin.
Mit Blick auf die junge Firmengeschichte meint Hu WeiWei: »Wir sind vor zwei Jahren mit der Idee angetreten, das Stadtleben weltweit zu verbessern. Aktuell sind wir in über 200 Städten in 15 Ländern weltweit vertreten und verzeichnen täglich 30 Millionen Fahrten mit unseren Rädern. Diese Zahl zeigt, dass wir mit unserem Geschäftsmodell ein großes Nutzerbedürfnis abdecken. Gleichzeitig wollen wir einen großen Teil dazu beitragen, das zunehmende Problem der Luftverschmutzung in den Städten zu reduzieren und so das Leben nachhaltiger und umweltfreundlicher zu gestalten.«
Ein entscheidender Erfolgsfaktor sei, dass Mobike die Wünsche der Nutzer stets an die erste Stelle stellt. »Wir arbeiten kontinuierlich an unserem Service, um für unsere Nutzer das bestmögliche Angebot zu schaffen«, erklärt Mobike-Deutschland-Geschäftsführer Jimmy Cliff. Dazu gehöre nun auch die regelmäßige Wartung und optimale Verteilung der einzelnen Fahrräder: »Unsere mobilen Einsatzteams sind ständig auf den Straßen unterwegs, um unsere Fahrräder zu warten, aufzustellen, umzuparken oder beschädigte Räder zur Reparatur einzusammeln.«
Hier hat man wohl auch aus der Panne von Mitbewerber Obike aus Singapur gelernt, der bei seiner Deutschland-Premiere im August 2017 ohne Vorab-Kommunikation die Stadt München mit 7.000 Billig-Bikes flutete. Da diese die letzten freien Plätze der Stadt belegten, gab es viel Bürger-Unmut, der anfangs in Protest und letztendlich in einen fiesen Vandalismus mündete. Diese Zerstörung veranlasste Obike, den Großteil seiner Bikes wieder aus der Bayernmetropole zu ziehen.
Um den Usern ein noch besseres Fahrgefühl zu verschaffen und vor allem den westlichen Kunden entgegen zu kommen, hat Mobike sogar ein neues 26-Zoll-Modell auf den Markt gebracht: »Das neue Mobike 3.0 ist größer als sein Vorgängermodell und somit optimal angepasst auf die größere Statur der Europäer«. Mobike 3.0 ist in Berlin bereits verfügbar. Zusätzlich plant der Anbieter, die Fahrradflotte schon im Sommer dieses Jahres um E-Bikes zu erweitern. Diese sollen dann zunächst in den äußeren Bezirken von Berlin angeboten werden.
Last but not least verweist Mobike noch einmal darauf, »aufgrund der herausragenden Leistung bei der Innovation von smarten Technologien und der Förderung der ökologischen Nachhaltigkeit« im Jahr 2017 von United Nations Environment mit dem »Champion of the Earth« ausgezeichnet worden zu sein. Und beim Energy Start Up Transition Award 2018 wurden die Chinesen unter die Top 100 der besten Startups gewählt.
Was Mobike nicht sagt: Dass der Kölner Fahrrad-Einkaufsverband ZEG aus Protest gegen die »Champions Of The Earth«-Verleihung 2017 seine seit 2013 bestehende Mitgliedschaft in der UN-Initiative Global Compact (UNGC) »mit sofortiger Wirkung« aufgegeben hat. Damaliger Grund: »In einer wahren Schlacht um Marktherrschaft und Risikokapital in China schüttet das Unternehmen gemeinsam mit Konkurrenten die Straßen und Plätze in Großstädten wie Peking (2,3 Millionen Bike-Sharing-Räder) förmlich zu. Ohne Wartung und Service, ohne dass die Räder abgeholt werden. Hunderttausende gut erhaltene Fahrräder landeten in der Schlacht der Sharing-Unternehmen so auf Deponien oder liegen als Fahrradleichen an den Straßenrändern herum. Medial dokumentierten dies kürzlich weltweit Zeitungen und Magazine, u.a. das Manager-Magazin.«
Statt diese milliardenschwere Ressourcenverschwendung zu kritisieren, zeichne die UN-Umweltorganisation ausgerechnet Mobike aus. »Es ist absurd, dass ein Unternehmen wie Mobike dann mit der höchsten Umweltauszeichnung prämiert wurde. Das System kollabiert. Es werden Massen an Billigrädern in den Markt geschoben die nicht gebraucht werden. Da ergeben sich Berge an Aluminiummüll. Dies können und wollen wir als Händler-Genossenschaft nicht unterstützen und mittragen«, erklärte damals der ZEG-Vorstandsvorsitzende Georg Honkomp.
Des Weiteren tauchen immer wieder Gerüchte auf, dass die hinter diesen jungen Mietrad-Systemen aus Fernost stehenden großen IT-Riesen dieses Geschäft nicht als reine Gutmenschen-Aktion unterstützen, sondern besonders scharf auf bestens verwertbare Kundendaten sind. Demnach geht es weniger um Umweltschutz & Co., sondern vor allem um Kundendaten.
Daran wird sich sicherlich auch nichts nach der diesen April bekannt gegebenen Mobike-Übernahme seitens Meituan Dianping – der laut Eigenangaben »größten E-Commerce-Plattform für lokale Dienstleistungen« – ändern. Ganz im Gegenteil: das derzeitige Misstrauen des Westens gegenüber diesen von globalen IT-Riesen aufgebauten stationslosen Mietrad-Systemanbietern ist noch nicht aus der Welt.
Text: Jo Beckendorff, Fotos: Mobike