Giant baut Produktionsstätte in Ungarn
Bald auch in Ungarn? Mitarbeiter-Fotowand bei Giant Domestic.

Laut Meldungen aus Taiwan will sich der größte nationale Fahrradanbieter unabhängiger von seinen bestehenden sechs Produktionsstätten in China machen. Aus diesem Grund – und mit dem Trendthema E-Bike im Rücken – will Giant Manufacturing Company Limited in Europa eine marktnahe Produktionsstätte in Ungarn errichten.

Die Zeitung Taiwan News berichtet von einer Investition in Höhe von 72 Millionen US$ (61,78 Millionen Euro), die sowohl in die neue Produktionsstätte in Gyongyos (80 Kilometer nordöstlich von Budapest) als auch in die Europa-Zentrale im niederländischen Lelystad, die den Vertrieb übernehmen soll, fließt. Nach der Anfang Juli gefeierten Grundsteinlegung im ungarischen Gyongyos soll dort bereits planmäßig im nächsten Jahr produziert werden. Die Jahreskapazität dieser neuen Europa-Fabrik soll bei jährlichen eine Million Einheiten liegen.
Gründe für die Produktionsverlagerung nach Europa gibt es viele. Da ist zum einem der chinesische Fahrradmarkt selbst, der vor vielen Jahren große Hoffnungen weckte, die aber nicht mehr erfüllt werden. Ganz unschuldig ist die Fahrradindustrie daran allerdings nicht: Unzählige Fahrrad-Verleihsysteme haben in Zeiten von IoT den dortigen Fahrradverkauf einbrechen lassen. Mittlerweile bietet fast jedes chinesische Ballungsgebiet stationslose Mieträder an, die die Anschaffung eines eigenen Fahrrads hinfällig machen. Somit ist das Thema Mobilitätsrad durch. Und der sportliche Fahrradsektor hat vor allem im Premiumbereich auch schon einmal bessere Zeiten im Reich der Mitte erlebt.
Des Weiteren sind die derzeit wieder aggressiveren Vorgehensweisen Chinas gegenüber Taiwan, die den demokratischen Inselstaat immer wieder sowohl umgarnt (was das Geschäft betrifft) als auch bedroht (politisch), der von den USA angezettelte Handelskrieg gegen China sowie der gerade auf Betreiben des Europäischen Fahrrad-Industrieverbandes (EBMA) verhängte provisorische EU Anti-Dumping-Strafzoll auf chinesische E-Bike-Importe in die Europäische Union triftige Gründe, die die Preise der in China produzierten Fahrräder steigen lassen. Giant hat auch nicht die Absicht, die Produktion mit Blick auf günstigere Arbeitskraft-Kosten und etwaigen Zolleinsparungen in andere aufkommende Schwellenländer in Südostasien zu verlagern, sondern eher dorthin, wo die Fahrräder auch verkauft werden.
Taiwan News zitiert Giant-Präsidentin Bonnie Tu, die am 19. Juli auf dem Commonwealth Economic Forum in Taipeh erklärte, dass man zunächst davon ausgegangen sei, mit den sechs Fabriken in China die Welt beliefern zu können. Nur: Lokalisierung sei innerhalb der Fahrradproduktion ein aufkommender Trend. Mit einer marktnahen Produktion könne man schneller auf etwaige Marktanforderungen reagieren.
Mit Blick auf Steuern und Zölle meinte Tu außerdem, dass es wenig Sinn mache, eine neue Produktionsstätte aufzubauen. Die internationale Politik würde sich immer wieder ändern – und stelle nicht nur den Fahrradproduzenten Giant bei der Neuausrichtung seiner Lieferketten vor große Herausforderungen.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt unterhält Taiwans Fahrradproduzent Nummer Eins Produktionsstätten in China, Taiwan und den Niederlanden. Aus dem holländischen Lelystad heraus soll Giant-Europe auch den Vertrieb der ab nächstem Jahr in Gyongyos montierten (E-)Fahrräder lenken. Ob der Anbieter dann auch in der Lage sein wird, seinen im Vergleich zu europäischen Premiummarken späten E-MTB-Einstieg aufzuholen und in Sachen Integration und Konnektivität eine führende Rolle einzunehmen, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall werden die Weichen dafür gestellt.

Text/Foto: Jo Beckendorff

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