Die Widrigkeiten der laufenden Saison haben der deutschen Fahrradindustrie und dem Handel zum Teil deutliche Rückschläge beschert, doch auf lange Sicht werde sich das einpendeln. Am Ende der Saison werde man den Rückstand zum Teil aufgeholt haben. Das war das Fazit der beiden Verbandsgeschäftsführer Siegfried Neuberger und Thomas Kunz im Wirtschaftsgespräch in Friedrichshafen am Tag vor der Eröffnung der Eurobike. Auf der selben Veranstaltung erklärte der scheidende Geschäftsführer von Derby Cycle, Mathias Seidler, man könne die negativen Testresultate der Stiftung Warentest zumindest in einem Punkt widerlegen…
Stefan Reisinger, oberster Projektleiter der Eurobike, bestätigte, dass in seinen Gesprächen mit Ausstellern viel von den Schwierigkeiten der letzten Monate die Rede gewesen sei, aber wenn der Blick sich nach vorne richte, überwiege der Optimismus. Er führt die nur vorübergehende Delle der Branche auf ihre Dynamik zurück, die ihre Produkte stets weiter entwickle. Jedenfalls kann er 1.280 Aussteller aus 50 Nationen begrüßen und damit wieder einen Rekord vermelden. Erstmals wird eine deutsche Fahrradmesse von einem Bundeskanzler oder einer Bundeskanzlerin eröffnet.
Die Eurobike ist eine internationale Messe, und das Fahrradgeschäft wird immer internationaler. Giant-Präsident Tony Lo berichtete nicht ohne Stolz, dass in seinem Heimatland Taiwan die Menschen das Fahrrad entdeckt haben und die touristische Nutzung stetig zunehme. Wachstumspotentiale sieht er für sein Unternehmen vor allem in asiatischen Märkten wie China. Das Elektrorad wird nach Meinung der Experten in den nächsten Jahren auch die Märkte erobern, die hier noch nicht so weit sind wie der deutsche oder niederländische; explizit genannt wurden Frankreich, Italien und die USA, aber auch China und Japan. VDZ-Geschäftsführer Thomas Kunz bestätigte, dass das schlechte Wetter und der negative Test als Umsatzbremsen gewirkt hätten. Am Anfang des Jahres hätten einige Händler ein Minus von bis zu 20 Prozent verkraften müssen. Als beide Effekte überwunden waren, habe das Aufholen eingesetzt, so dass es vielleicht noch drin sei, an die Vorjahresumsätze anzuknüpfen, aber man dürfe nicht vergessen, dass die Jahre 2011 und 2012 ungewöhnlich gut gewesen seien.
ZIV-Geschäftsführer Siegfried Neuberger geht davon aus, dass die Inlandsanlieferung des ersten Halbjahres runde sieben Prozent unter dem ersten Halbjahr 2012 liegt, der Export aber um 9,3 Prozent auf 790.000 Fahrräder zulegte. Die minus sieben Prozent bei den Stückzahlen bedeuteten aber nur ein Minus von zwei bis drei Prozent beim Umsatz, weil der E-Bike-Anteil weiter zugenommen habe. Im ersten Halbjahr 2013 wurden 1,65 Millionen Fahrräder produziert, was einem Rückgang von 2,4 Prozent entspricht.
Das Bild, das die Branchenexperten zeichneten, war also auch ein Stück weit paradox: Das Geschäft mit den E-Bikes wurde beeinträchtigt, stieg aber trotzdem an. Es hätte aber stärker ansteigen können; das ist die Erklärung. Umsatzeinbußen führt Kunz nicht nur auf Kaufzurückhaltung nach dem Test zurück, sondern auch darauf, dass wegen des Warendrucks gar nicht so selten Rabatte zwischen fünf und zehn Prozent gewährt würden.
Mathias Seidler von Derby Cycle rechnet mit einem Umsatzausfall von 50 Millionen Euro in der gesamten Branche durch den negativen Test. Das sei skandalös angesichts der Tatsache, dass dem Test offenbar die Substanz fehle, die Vorwürfe sich nicht erhärten ließen und es nach wie an der Transparenz fehle.
Seidler erklärte, Derby habe unter notarieller Aufsicht den Test zur elektromagentischen Verträglichkeit des abgewerteten Elektrorades des Herstellers in dem selben Institut wiederholt, in dem die Stiftung Warentest habe testen lassen, und es sei zu ganz anderen Resultaten gekommen: „Die Ergebnisse der Zeitschrift Test sind in diesem Punkt schlichtweg falsch.“ Er sagte, man sei mit der Stiftung gerade im Gespräch und es bestehe Aussicht, dass diese Abwertung zurückgenommen werde. Es müsse aber massiv gegengesteuert werden, damit sich ein Test mit derart negativen Folgen nicht wiederhole. Bei Derby Cycle waren übrigens 102.000 von 474.000 verkauften Fahrrädern mit einem Motor versehen – im Jahr 2012.
Für die gesamte Branche wiederholte Neuberger seine schon früher abgegebene Prognose, dass sich der E-Bike-Anteil bei 15 Prozent einpendeln könne, das wären dann 600.000 Stück im Jahr. Für 2013 liegt die Prognose bei 430.000 Stück, dort sind die Umsatzknicke schon eingerechnet. Neuberger weist darauf hin, dass im Bereich Cargobike, beispielsweise bei städtischen Kurieren, noch mit deutlichem E-Wachstum zu rechnen sei. Thomas Kunz ergänzte, dass das Zielpublikum für E-Bikes breiter werde und nicht nur auf Senioren beschränkt sei, aber es entschieden sich viele Senioren für ein Elektrorad, die sonst überhaupt nicht mehr Rad gefahren wären. Um der weiteren Verbreitung der E-Bikes im Alltag Vorschub zu leisten, hat der ZIV vier Forderungen für eine E-Bike-gerechte städtische Infrastruktur an die Politik gerichtet, denn die Rahmenbedingungen müssen besser werden. Besonders unterentwickelt sind die Abstellmöglichkeiten.
Auch sprach sich Neuberger gegen eine Überregulierung aus; sein Verband begrüßt zwar Kampagnen zur Verbesserung der freiwilligen Helmtragequote, aber eine Helmpflicht würde die Nutzung des Fahrrades absenken und dadurch werde für die Entlastung der Innenstädte nichts gewonnen.
Der Fachhandelsanteil liegt nach Wert bei 80 Prozent, und branchenfremde Angriffe beim Thema E-Bike solle man nicht überschätzen, erklärt Seidler. Denn das Produkt sei beratungs- und service-intensiv. Gegenteiligen Behauptungen zum Trotz seien bei Großmärkten die Service-Fragen nicht gelöst und dass ein E-Bike für weniger als 1.000 Euro auch bescheidene Anforderungen nicht erfülle, spreche sich ebenfalls herum. Deswegen werde auch Mediamarkt auf diesem Gebiet wenig erreichen.
Text: Michael Bollschweiler
Bild: Wirtschaftsgespräch vor der Eurobike: Auf dem Podium standen (v.l.) Eurobike-Projektleiter Stefan Reisinger, ZIV-Geschäftsführer Siegfried Neuberger, Giant-Präsident Tony Lo, Derby-Geschäftsführer Mathias Seidler und VDZ-Geschäftsführer Thomas Kunz.
Foto: Messe Friedrichshafen