Die Branche trauert: Nach längerer Krankheit ist der Gründer und Vorsitzende des europäischen Fahrrad-Produzentenverbandes EBMA Brian Montgomery (Bild rechts) in der zweiten Novemberwoche friedlich in seiner Wohnung in Marly le Roi nahe Paris im Alter von 81 Jahren verstorben. Die Beerdigung fand am 24. November im kleinen Familien- und Freundeskreis im nahe gelegenen Les Mureaux statt. Freunde und Familie hatten darum gebeten, die Meldung von Montgomerys Tod erst nach der Beerdigung zu veröffentlichen…
Brian Montgomery war auch Mitglied des altehrwürdigen britischen Pickwick Bicycle Club (PBC) – dem ältesten Fahrradclub der Welt. Dort war er unter dem Namen Captain Boldwig bekannt (Anmerkung des RadMarkt: Jedes PBC-Mitglied bekommt traditionell einen Namen aus dem Roman »Pickwick Papers« von Charles Dickens zugeordnet). Im Bild ist Montgomery (alias Captain Boldwig, rechts) im Rahmen eines Treffens des Pickwick Bicycle Clubs zusammen mit Ron Webb (alias Mr. Griggs, links) und David Duffield (alias Mr. Ayreseleigh, Bildmitte) zu sehen.
Aufgabe der von Montgomery im Jahr 1990 gegründeten EBMA war es, den im Laufe der Jahre immer mehr aus Übersee kommenden unfairen Wettbewerb Paroli zu bieten. Es war Montgomery, der unermüdlich Produktionskosten-Bestandsaufnahmen der europäischen Fahrradindustrie zusammentrug, diese mit denen aus Übersee verglich und seine Ergebnisse an die verantwortlichen Stellen der EU weiter leitete. Dabei fehlte nie der Hinweis auf den durch unfairen Wettbewerb entstehenden Verlust von Arbeitsplätzen der europäischen Fahrradindustrie, die es zu schützen galt. Montgomery deckte allerlei illegale Handelspraktiken auf, mit deren Hilfe Produzenten aus Asien in den EU-Markt drängten.
In seiner Rolle als Verfechter von Anti-Dumping-Maßnahmen seitens der EU machte er sich natürlich nicht nur Freunde. Das ist in so einer Position auch nicht möglich. So geht zum Beispiel der aktuell noch bestehende EU Anti-Dumping-Strafzoll auf Fahrräder und Fahrradteile Made in China in Höhe von 48,5 Prozent zum Großteil auf das unermüdliche Engagement von Montgomery zurück. Dieser EU-Strafzoll läuft seit September 1993 – und ist damit einer der am längsten (wenn nicht sogar der längste) laufende Strafzoll, den die EU jemals verhängte.
Wie auch immer die Kritik an Montgomery ausfallen mag: Ohne seinen Einsatz würden seine Verbandsmitglieder – sprich die europäische Fahrradindustrie – definitiv nicht mehr dort stehen wo sie heute steht. Als Beweis dient ein Blick auf die an die Gesetze des freien Marktes setzende USA. Dort hat die Fahrrad-Importinvasion aus China die heimische Fahrradindustrie quasi ausgemerzt. Gleiches gilt für Japan. Seit Jahren bestimmen Billig-Fahrradimporte aus China den dortigen Markt. Schon lange kommen mehr als 90 Prozent der Fahrradimporte vom großen Nachbarn. Für umgerechnet schlappe 30 Euro kann man beim branchenfremden Großanbieter um die Ecke im Land des Lächelns ein Komplettrad Made in China kaufen. Die einst starke Nippon-Fahrradindustrie ist nicht mehr existent.
In Europa gibt es immer noch eine Fahrradindustrie. Hier finden sich selbst noch einige kleine und mittlere Unternehmen, die sich gegen die Importe aus Asien stemmen. Ohne EBMA und Brian Montgomery würden diese nicht mehr existieren. Schätzungen zufolge sichert die europäische Fahrradindustrie innerhalb des EU-27-Marktes immer noch an die 655.000 Arbeitsplätze.
Das Tagesgeschäft der EBMA hatte bereits mehr oder weniger Moreno Fioravanti übernommen: »EBMA wird Brian auf Ewigkeit dankbar sein für seinen Einsatz, der gerade vielen kleinen und mittleren Betrieben innerhalb des EU-Marktes und deren Beschäftigten das Überleben gesichert hat.«
Ein neuer EBMA-Chef soll bereits im Dezember gewählt werden. Wer auch immer es sein wird: Er wird es schwer haben, aus dem Schatten der Fußstapfen des charismatischen EBMA-Gründers und -Geschäftsführers Brian Montgomery hervor zu treten.
Text: Jo Beckendorff, Fotos: Peter Lumley/KSA