Auf der am letzten Sonntag (28. November) endenden 78. italienische Zweirad-Messe Eicma war das Thema zweirädrige urbane Mobilität sehr präsent. Gewiss stehen sogenannte »Muscle Bikes« auch weiterhin im Rampenlicht. Die Musik spielt aber immer mehr im Sektor Mobilitäts-Fahrzeuge. Was dabei auffällt: eine klare Linie zwischen Anbietern motorisierter und nicht-motorisierter Zweiräder verschwimmt. Anders ausgedrückt: während eine wachsende Zahl Motorrad- und Motorroller-Anbieter vom Boom-Thema E-Bike partizipieren wollen, bewegen sich erste E-Bike-Anbieter Richtung E-Moped bzw. E-Motorroller. Wir haben einmal auf der Messe, an der laut dem Mailänder Messe-Organisator über 829 Marken aus 36 Ländern in fünf Hallen an vier Tagen ausstellten, drei Aussteller exemplarisch herausgegriffen.
Nicht nur in Deutschland ist der Markt der Leichtkrafträder und -roller für die motorisierte Zweirad-Branche die tragende Säule. Dazu hat sicherlich auch die Corona-Krise beigetragen, in der die Menschen den Individualverkehr gegenüber dem öffentlichen Nahverkehr deutlich bevorzugen. Das Thema »e« (Stichwort Nachhaltigkeit) gibt dem Ganzen noch einmal eine gehörige Portion Schwung. Dabei schauen die motorisierten Zweirad-Anbieter auch Richtung Fahrradbranche, die mit dem von ihr aufgegriffenen Thema E-Bike einen Boom ausgelöst haben, der es in sich hat. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Zweirad-Anbieter beim Aufgreifen des Themas »e« auch E-Bikes bzw. Pedelecs im Auge haben. Es gibt aber auch einige Fahrrad-Anbieter, die mit ihrem E-Bike-Know-how im Rücken die Fühler Richtung E-Motorroller ausstrecken.
Fantic: Motorrad-Wurzeln, Wiederbelebung mit E-Bikes – jetzt Ausbau Richtung E-Mobility
Die Wurzeln der 1968 gegründeten Marke Fantic liegen eigentlich im Sektor leichter Gelände-Motorräder. Als das Unternehmen in Schwierigkeiten geriet, machten sich 2014 fünf einstige Aprilia-Manager daran, mit Hilfe des Investors Venetwork einen Marken-Relauch einzuläuten – diesmal allerdings auch mit E-Bike-Modellreihen der Gattungen Fat-Bike und Mountainbike. Gegenüber dem RadMarkt erklärte Fantic Marketing & Web Communication Manager Francesco Gorghetto schon im Jahr 2018, dass bereits 40 Prozent der Gesamtproduktion auf E-Bikes entfielen – Tendenz steigend. Seitdem hat man das Portfolio auch strategisch weiter Richtung E-Trekking sowie E-Mobility (= E-Citybike) sowie (seit 9/2021) E-Tretroller ausgebaut.
Auf der diesjährigen Eicma präsentierte Fantic nun ein allererstes E-Motorroller-Konzept, das neben dem E-Citybike-Modell «Issimo« mit dicker 20-Zoll-Bereifung das junge Fantic-Geschäftsdach E-Mobility verstärken soll.
Dieses Modell wird nicht nur in Italien entworfen, sondern soll auch dort gebaut werden – und zwar bei Motori Minarelli in Bologna. Die E-Motorisierung soll drei Konfigurationen bieten. Zu den Plänen der Marke gehört auch das Projekt in der L3-Version (= 50 ccm und 125 ccm). Fantics E-Motorroller ist mit einer 2.200 Watt Lithium-Batterie ausgestattet und kann mit einer zweiten Batterie nachgerüstet werden, die zusammen eine Reichweite von mehr als 100 Kilometer garantieren sollen. Das Aggregat ist auf einem Fantic-Chassis mit einem Aluminium-Gitterrohr-Rahmen aus Druckguss und hohen Rädern mit 16-Zoll-Felgen montiert. Gebremst wird mit 220 Millimeter Scheibenbremsen vorne und 180 Millimeter hinten. Gefedert wird vorne mit 100 Millimeter Federweg und hinten 85 Millimeter. Der E-Motorroller kann mit einer speziellen App über das Smartphone gesteuert und mit diversen Original-Zubehörteilen des Anbieters individuell ausgestattet werden – darunter zum Beispiel eine hohe Windschutzscheibe, Beinabweiser, Beinabdeckung, Heck- und Seitentaschen.
Kymco surrt mit E-Zweirad-Linie Ionex global los
Wie der RadMarkt bereits im Mai dieses Jahres berichtete, hat Taiwans Motorroller-Marktführer Kwang Yang Motor Corporation (kurz Kymco) eine E-Offensive angekündigt: die bis dato unter dem Markennamen Ionex angebotene E-Motorroller-Line soll zumindest in der Heimat ausgegliedert und als eigenständige Marke mit einem Komplettangebot von E-Motorrollern bis E-Superbikes inklusive eigenen Ladestationen ausgebaut werden. Danach soll Ionex global lossurren (allerdings als E-Linie unter dem international bekannten Markennamen Kymco).
In Mailand präsentierten die Taiwaner ihr neues Ionex-Projekt erstmals in Europa: mit dem E-Motorroller »Agility Carry EV« will Kymco »dank flacher Plattform und großer Paketablage die Lösung für alle Lieferdienste« bieten. Die herausnehmbare Batterie ist unter dem Sattel gelagert. Sie soll bis zu 50 Kilometer Reichweite garantieren.
Zudem vervollständigt Kymco die Ionex-Reihe mit den urbanen Pendler-Modellen »iOne« und »iOneX«. Die werden durch die leistungsstärkeren Modelle »Super 6«, »Super 7« und »Super 9« ergänzt. Diese verfügen über eine zusätzliche Leistung von bis zu 13 PS.
Neben diesen E-Zweirad-Ambitionen ist Kymco übrigens nach wie vor in Europa mit der eigenständigen E-Bike-Marke Klever im Markt.
Niu: weitere Version der gerade erst vorgestellten E-Bike-Premiere
Die chinesische E-Motorrad- und -Motorroller-/Moped-Größe Niu Technologies präsentierte hingegen in Mailand nicht nur neun neue Modelle, sondern auch eine weitere Version ihres erst in diesem Jahr vorgestellten ersten E-Bikes. Der mit einem 250 Watt-Motor von Bafang angetriebene Single-Speeder namens »BQi« ist laut Herstellerangaben »das perfekte urbane E-Bike«. Es ist gleich mit zwei herausnehmbaren Akkus ausgestattet, die eine Reichweite von 100 Kilometern bieten sollen. »BQi« soll am 1. Juli 2022 über den Handel für 1.500 Euro zu haben sein.
Mit ihren E-Bike-Ambitionen bauen die Chinesen (nachdem sie auch schon in den E-Tretroller-Markt eingestiegen sind) ihre urbane Mobilitätsfahrzeug-Flotte für Endkunden und Versorgungsflotten-Kunden strategisch weiter aus.
Text: Jo Beckendorff, Fotos: 3x Eicma, 2x Kymco, 2x Niu Technologies