Der Fahrradsachverständige Ernst Brust, Geschäftsführer des Schweinfurter Prüfinstitutes Velotech.de, hat in den Fahrradwerkstätten Unsicherheit über die Herstellerangaben von Anziehdrehmomenten für Fügeteile festgestellt. Kaum ein Hersteller mache dabei einen Unterschied, ob das Anziehen der Schraubenverbindung trocken oder geölt/gefettet erfolgen soll. Nachfolgend dazu seine Überlegungen:
»Die Anziehdrehmomentangaben (in Nm) sind nur dann sinnvoll, wenn diese für eine bestimmte Materialpaarung (z.B. Stahl/Alu) und daneben für den Schmierzustand (sprich: Reibungszahl) erfolgen. Fehlen diese Angaben, sollte man eher nach Gefühl und nicht mit dem Drehmomentschlüssel arbeiten.
Beim trockenen Anziehen einer Schraube/Mutter müssen ca. 90 Prozent an Reibung überwunden werden (Kopfauflage und Gewinde), nur 10 Prozent dienen der Anpresskraft (lt. Roloff/Mattek ca. 16 Prozent). Trocken aufgezogen mit 35 Nm oder geölt aufgezogen ebenfalls mit 35 Nm. Die geölte Schraube sitzt tiefer drin und erzeugt einen größeren Anpressdruck auf die Fügeteile.
Beispiel aus der Werkstatt: Radmuttern anziehen ‚Trocken‘ mit 50 Nm erzeugt die gleiche Anpresskraft wie ‚Geölt‘ mit 35 Nm – geölt sollte man aber tunlichst vermeiden.
Im Tabellenbuch Fahrradtechnik (3. Auflage, Seite 172, 173) sind Anziehmomente für unterschiedliche Schmierzustände angegeben. Andere Tabellen siehe VDI 2230 Bl.1 ‚Berechnung hochbeanspruchte Schraubenverbindungen‘.«
Das Resümee von Ernst Brust: Die Fahrrad- Hersteller bzw. Teilehersteller sollten bei den Anziehdrehmomentangaben Hinweise auf die Materialpaarung und den Schmierzustand geben. Als Beispiel wird Kawasaki genannt: Alle Angaben beziehen sich auf entfettete und saubere Verbindungen.
»Der statische Begriff ‚Anziehdrehmoment‘ sollte besser ersetzt werden durch ‚Anziehmoment‘ oder ‚Anzugsmoment‘. Drehmoment sollte für dynamische Angaben (z. B. Motordrehmoment) reserviert werden«, so sein Vorschlag. Leider hätten beide die gleiche Dimension Nm.
Abb.: Ernst Brust