Laut dem europäischen E-Leichtfahrzeug-Lobby-Dachverband Leva-EU flatterte mehreren deutschen E-Bike-Händler im Jahr 2018 eine offizielle Abmahnung von Kraftfahrt Bundesamt (KBA) in Haus. Sollten sie bei einem weiteren Verkauf bestimmter E-Fahrräder ohne Kette diese als EPACs (= »Electrically Power Assisted Cycle«) verkaufen, drohe ihnen laut der offiziellen deutschen Zulassungsbehörde ein Bußgeld von 5.000 Euro. Auf Drängen unter anderem von Leva-EU hat nun die zuständige EU-Kommission endgültig bestätigt, dass »Serien-Hybrid-Fahräder EPACs sind, die von der L-Kategorie ausgeschlossen sind.
Das betreffende E-Bike unterschied sich einzig und alleine durch das Fehlen einer Kette von anderen Fahrrädern bzw. E-Bikes. Stattdessen verfügte es über ein sogenanntes »Series Hybrid«-System (kurz SH). Fast fünf Jahre arbeiteten LEVA-EU und seine Mitglieder daran, die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten davon zu überzeugen, dass Serienhybrid-Fahrräder doch EPACs sind. Schließlich werkeln gerade Anbieter der trendigen Kategorie E-Cargobikes emsig an schlüssigen Alternativen zum Kettenantrieb.
Vorwurf Entwicklungs-Verhinderer
Von Anfang an hat sich LEVA-EU für die Beseitigung von rechtlichen Engpässen in der technischen Gesetzgebung eingesetzt, die die technologische Entwicklung stark behindern. »Die Position von LEVA-EU zur technischen Gesetzgebung für leichte Elektrofahrzeuge basiert auf den Prinzipien der kinetischen Energie und der Technologieneutralität. LEVA-EU hat sich daher sofort verpflichtet, seine Mitglieder in der SH-Problematik zu unterstützen«, heißt es dazu aus der Verbandszentrale in Gent.
Ein erstes Treffen mit der Europäischen Kommission im Jahr 2018 führte zu keinem Ergebnis. Dennoch arbeitete LEVA-EU weiter an dem Thema. Auch bei ISO, CEN und IEC haben sich die LEVA-EU-Experten aktiv und konsequent dafür eingesetzt, dass SH-Systeme von ISO-, CEN- und IEC-Normen erfasst werden.
Stolperstein mechanischer Kettenantrieb
»Ein EPAC ist ein pedalunterstütztes Fahrrad mit maximal 25 km/h und 250 W, das nach Artikel 2.2(h) von der Verordnung 168/2013 ausgenommen ist«, heißt es dazu in der Gesetzgebung.
Die Crux: Ein mit einem »Series Hybrid«-Antriebssystem ausgestattetes Fahrzeug hat keine mechanische Kette. Stattdessen fließt die Energie direkt von einem Tretgenerator in den Motor.
Laut KBA benötigten solche Fahrzeuge eine Typgenehmigung in der Klasse L. Später unterstützte das Bundesverkehrsministerium (BMVI) die KBA-Position.
Laut Leva-EU wurde das betroffene E-Bike sogar über ein Jahr lang buchstäblich »an die Kette gelegt». Allerdings hatte die niederländische Zulassungsbehörde RDW einige Jahre zuvor in einer förmlichen Erklärung bestätigt, dass sie ein mit einem seriellen Hybridsystem ausgestattetes Fahrrad als EPAC betrachtet, das von der Verordnung 168/2013 ausgenommen ist.
Advantage SH-System
Gegen Ende des letzten Jahres bat LEVA-EU um ein neues Treffen mit der Kommission. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Fachverband nicht weniger als 12 Mitglieder, die von der »Series Hybrid« betroffen waren. Die Ungewissheit über den rechtlichen Status dieser Fahrzeuge wurde – egal, ob mit oder ohne die Verordnung 168/2013 – zu einem großen Hindernis für ihre potenziellen Kunden und/oder Investoren.
Insbesondere Hersteller von E-Bikes haben die Vorteile des Systems für sich entdeckt. Da es weniger mechanische Teile hat, fallen auch weniger Verschleiß- und Wartungskosten an. Das wiederum ermöglicht eine Verkürzung der Wartungs- und Serviceintervalle der Flotte.
Außerdem bietet es mehr Gestaltungsfreiheit und ein größeres Potenzial, das digitale System an die Bedürfnisse bestimmter Fahrer anzupassen – »zum Beispiel für ältere und behinderte Menschen, Pendler, Liefer- und Kurierfahrer usw.« Zudem ermöglicht das SH-System auch eine Rückfahr-Funktion – was laut Leva-EU »besonders für E-Lastenfahrräder oder andere EPACs mit mehr als zwei Rädern interessant ist«.
E-Bikes ohne Kette sind auch EPACs
Letztendlich ist die verantwortliche EU-Kommission die von Leva-EU vorgetragenen technischen Aspekte des Systems und dessen Marktpotenzial nachgegangen. Um die Anforderungen von Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe h der Verordnung 168/2013 zu erfüllen, wurde nun von der EU-Kommission folgendes richtig- bzw. klargestellt:
E-Bikes sind Fahrzeuge, die
– mit einem E-Hilfsmotor mit einer maximalen Nenndauerleistung von 250 W ausgestattet sind.
– bei denen sich der Motor abgeschaltet, wenn der Radfahrer aufhört zu treten.
– bei denen sich der Motor vor Erreichen von 25 km/h abgeschaltet.
– bei denen die Hilfsfunktion des Motors darin besteht, dass das Fahrzeug nicht allein durch den Motor angetrieben werden kann, ohne in die Pedale zu treten (außer bei der Gehhilfe bis zu 6 km/h).
– bei denen der Motor nur so lange Unterstützung leistet, solange der Radfahrer kontinuierlich in die Pedale tritt.
– bei dem es bei der Ausnahme der Verordnung 168/2013, Artikel 2.2(h) keine Rolle spielt, ob das Fahrzeug eine Kette hat oder nicht. Dieser Entscheid wurde auch im Namen der Technologie-Neutralität getroffen.
Somit bestätigt die Kommission jetzt offiziell, dass mit einem SH-System ausgestattete E-Fahrräder EPACs sind, die von der Verordnung 168/2013, Artikel 2.2(h), ausgenommen sind. Die Kommission bestätigte auch, dass es keine weiteren Kommentare seitens der Mitgliedstaaten gab. Anders ausgedrückt: die Auslegung der Kommission wurde von allen akzeptiert.
Fazit: die aktuelle Kommissionsbescheid gibt auch der Arbeitsgruppe 9 des CEN TC333 – Cycles, die derzeit Normen für E-Cargobikes erarbeitet, eine endgültige Antwort auf die Frage, ob das SH-System in künftigen Normen berücksichtigt werden soll oder nicht.
Text: Jo Beckendorff/Leva-EU, Foto: Leva-EU