Angefeuert vom einstigen Cervélo-Importeur Tri-Dynamic-Geschäftsführer Peter Seyberth flatterten in den zurückliegenden Wochen immer wieder Zwischenstands-Meldungen und –Meinungen der in den Streitfall Canyon Bicycles gegen Cervélo verwickelten Parteien herein. Dabei geht es um einen Rechtsstreit des Versenders Canyon Bicycles gegen den kanadischen Anbieter Cervélo sowie den ehemaligen Cervélo-Deutschland-Vertriebspartner Tri Dynamic GmbH. Canyon hatte eine Patentverletzung seiner sogenannten „Maximus Seattube“ an drei Cervélo-Modellen bemängelt.
Dazu Canyons Entwicklungsleiter Dr. Michael Kaiser in einer am 25. November verfassten Pressemitteilung: „Die in dem Patent beschriebene Form des Sattelrohres ermöglicht es, einen nach UCI-Richtlinien gefertigten Diamantrahmen zu bauen, der im Tretlager bei einem nahezu identischen Gewicht eine um bis zu 20 Prozent höhere Steifigkeit aufweist. Diese Form haben wir erstmals in unserem ersten ‚Ultimate CF’ Rahmen mit ‚F10’-Technologie eingesetzt. Dieser Rahmen hat über Jahre Maßstäbe beim Steifigkeits-Gewichts-Verhältnis gesetzt. Wir prüfen jetzt die nächsten Schritte gegenüber Cervélo. Dabei geht es insbesondere um die Verletzung unserer Patente in weiteren Ländern.“
Nachdem – so in der vorliegenden Pressemittelung des Klägers – das Landgericht Düsseldorf bereits im September entschieden hat, dass die Cervélo-Rahmen „R3“, „R3SL“ und „RS“ das europäische Canyon-Patent „EP 1737724“ verletzen“, hat die Einspruchsverhandlung über dessen Rechtsbeständigkeit vor dem Europäischen Patentamt in Rijswijk (bei Den Haag) am 24. November stattgefunden.
In der Verhandlung wurde das EP-Patent von Canyon „in leicht konkretisiertem Umfang als voll patentfähig bestätigt“. Das Patent bezieht sich auf eine besonders belastungsgerechte Form des Sitzrohres von Fahrradrahmen, bei der ein Merkmal die Abflachung auf der Kettenblattseite ist. In dem konkretisierten Hauptanspruch 1 wurde nun klargestellt, dass der durch die Abflachung frei werdende Bauraum Platz für einen Umwerfer und Kettenblätter schafft.
Das Europäische Patent ist neben Deutschland in den neun Ländern Österreich, Schweiz, Italien, Frankreich, Belgien, Dänemark, den Niederlanden, Großbritannien und Spanien gültig. Daneben besitzt die Canyon Bicycles GmbH laut eigenen Angaben „korrespondierende Patente in den USA und China sowie korrespondierende Patentanmeldungen in Neuseeland und Kanada“.
Canyon-Chef Roman Arnold sagte im Hinblick auf das bereits vorliegende Verletzungsurteil des Landgerichts Düsseldorf: „Ich möchte nochmals betonen, dass wir dieses Urteil nicht gegenüber Privatpersonen durchsetzen werden.“
Zwischenzeitlich hatte sich – angezogen vom Sog der vielen Zwischenstandsmeldungen der involvierten Parteien? – auch noch der traditionelle Bikeanbieter Schauff zu Wort gemeldet. Schauff steht stellvertretend für jene Anbieter, die eine Patentanmeldung auf die beschriebene querovalisierte Form des Sattelrohres in Frage stellen, weil es sie schon vorab gegeben haben soll.
Geschäftsführer Jan Schauff verweist beispielsweise auf eigene Entwicklungen aus den 80er Jahren und auch darauf, dass „sowohl querovalisierte Sattelrohre als auch Sattelrohre mit abgeflachtem „D“-förmigen Querschnitt zwischen Umwerfer und Tretlagergehäuse deutlich vor 2005 bekannt und in Gebrauch waren“.
O-Ton Schauff: „Wir haben seit Anfang der 80er-Jahre ovalisierte und querovalisierte Rahmenrohre zur Erhöhung der Rahmensteifigkeit insbesondere bei BMX-Rahmen eingesetzt. Diese Rohrform haben wir unter dem Begriff ‚Powertwist’ vermarktet.“ Später seien diese Rohrformen auch bei MTB-Stahlrahmen eingesetzt worden. Zwei solcher Rahmen mit querovalisierten Ober- und Unterohr sowie einem im Tretlagerbereich querovalisiertem Sattelrohr (zur Steifigkeitserhöhung im Tretlagerbereich) befänden sich heute noch im Museumsbestand und könnten unter
http://mtb-museum.de/mtb82/techtraeger-rahmen.htm besichtigt werden.
In der ersten Hälfte der 1990er Jahre, so Schauff weiter, habe man Carbonrahmen entwickelt, die oberhalb des Tretlagergehäuses bis zum Umwerfer flach sind, sodass sich in diesem Bereich ein “D”-förmiger Querschnitt ergibt. Fahrräder mit diesen Rahmen wurden 1992 und 1995 jeweils mit dem Designpreis „Red Dot“ ausgezeichnet worden: „Da sowohl querovalisierte Sattelrohre als auch Sattelrohre mit abgeflachtem ‚D’-förmigen Querschnitt zwischen Umwerfer und Tretlagergehäuse deutlich vor 2005 bekannt und in Gebrauch waren, ist für uns der Geltungsbereich dieses Patentes eines querovalen Sattelrohres mit abgeflachter Kettenblattseite sehr eingeengt, inwiefern hier die notwendige Erfindungshöhe vorliegt, wird der Prüfungsausschuss des Europäischen Patentamtes am 24. November entscheiden.“
Das Europäische Patentamt hat entschieden – zugunsten Canyon Bicycles und seinem „Maximus Seattube“-Patent „EP 1737724“.
Ob sich allerdings Cervélo mit diesem Urteil zufrieden gibt? Da gibt es zum einen die etwas schwammige Formulierung, dass das EP-Patent von Canyon wie bereits oben beschrieben nur in „in leicht konkretisiertem Umfang als voll patentfähig bestätigt“. Zum anderen scheinen sich neben Schauff auch einige andere Anbieter über dieses Patent und dessen „Erfindungshöhe“ zu wundern. Sie sorgt für Diskussionsstoff. Fortsetzung folgt.
– Jo Beckendorff –