Es kommt wie es kommen musste: War der Konkurrenzdruck der in München auftretenden deutschen Mietrad-Systemanbieter wie die DB-Rent-Tochter Call-a-Bike und das MVG-Rad (»MVG« steht für Münchner Verkehrsgesellschaft und ist ein Verkehrsunternehmen im öffentlichen Personennahverkehr) von Nextbike schon hoch, so ist er durch weitere Systeme aus dem Ausland in diesem Jahr jetzt schon überquellend.
Schon seit April 2017 radelt der Mietrad-Systemanbieter Donkey Republic in der Bayernmetropole mit. Der junge Start-up aus Dänemark setzt wie Mietradsystem-Anbieter Call-a-Bike mit seinen 1.200 Bikes in der Bayernmetropole nicht auf feste Stationen wie MVG Rad (mit derzeit 1.200 Rädern, die auf 3.200 hochgefahren werden sollen). Man muss die 100 in München zur Leihe aufgestellten »Donkey-Bikes« allerdings an bestimmten »Hubs« zurückgeben. Somit stehen die Räder nicht vereinzelt in der Stadt herum, sondern nehmen Freiflächen an bestimmten Stellen in Beschlag. Die Leihe erfolgt per App.
Ganz anders der erstmals in Deutschland antretende asiatische Mietrad-Systemanbieter Obike. Seit Anfang August ist der Newcomer aus Singapur mit 350 grau-gelben Mieträdern ohne Gangschaltung in der Innenstadt von München zu sehen. Das soll aber erst der Anfang sein. Die 350 »Obikes« stehen nun auf Bürgersteigen, öffentlichen Plätzen und ausgewiesenen Fahrrad-Parkplätzen, die nicht unbedingt für geparkte Mieträder bestimmt sind. Eine direkte Hotline oder Adresse, an die man sich bei Problemen wenden könnte, gibt es derzeit auch nicht. Die einzige Kontaktaufnahme ist über E-Mail möglich. Das zum Thema Service. Weitere App-basierte kommerzielle Mietrad-Systemanbieter aus China, die wie Obike arbeiten, haben auch schon Interesse unter anderem an München bekundet.
Apropos »kommerziell«: Wie verdienen diese Fernost-Anbieter mit ihren Billig-Mieträdern, die nicht einmal größere Flächen für Werbung haben wie zum Beispiel alle Mieträder des laut Eigenangaben größten Fahrrad-Verleihanbieters Nextbike aus Leipzig (der auch die MVG-Räder stellt)? Dass sie ihre Bikes nicht alleine der Umwelt zuliebe in immer mehr Metropolen der Welt kostengünstig zur Verfügung stellen – davon ist auszugehen. Kritiker befürchten, dass es den App-gesteuerten Fernost-Newcomern einfach darum geht, Kundendaten abzugreifen. Was sie genau damit anstellen (selber nutzen oder verkaufen?) ist nicht bekannt. Fakt ist, dass gerade hinter den chinesischen Mietrad-Systemanbietern Riesenunternehmen aus der IT-Branche stecken. Und die sind immer an Kundendaten interessiert.
Laut dem Radverkehrsbeauftragten der Stadt München Florian Paul liegen Anfragen von mindestens vier kommerziellen Fernost-Mietrad-Systemanbietern aus China vor. Laut einem Bericht in der Süddeutschen Zeitung (SZ) könnte es also sein, dass »demnächst auch andere Unternehmen wie Mobike oder Yobike ihre Velos auf die Straße stellen und die Räder dann ungenutzt herum stehen«. Dazu Paul in der SZ: »Wir sehen das kritisch und werden die Entwicklung beobachten«.
Besonders kritisch sieht man die in ihrer Heimat boomenden Mietrad-Systemanbieter aus China. Ob diese ohne Gangschaltung ausgestatteten Billig-Leihräder tatsächlich zum Einsatz kommen? Vor allem, wenn wie bei Obike in München vor der ersten Fahrt zuerst einmal 79 Euro Kaution hingeblättert werden müssen.
In einigen europäischen Großstädten mussten Fernost-Newcomer schon Lehrgeld zahlen. Wie die in den Niederlanden beheimatete Bike Europe berichtete, wurde in der Rad-Metropole Amsterdam allen App-basierenden und ohne Station fungierenden Mietrad-Systemen wie Flickbike und Donkey Republic die rote Karte gezeigt. Und in Zürich haben die überall herum stehenden Obikes bereits für so viel Unmut gesorgt, dass seitens der Stadt schon bald mit einer wie auch immer ausfallenden Antwort gerechnet wird. Weil: So geht es nicht weiter.
Auf der Anfang 2017 vom europäischen »Fahrrad-Dach« ECF ins Leben gerufenen europäischen Mietrad-Systemplattform PBESS (steht für »Platform on Bicycle Sharing & Systems«) wird europäischen Städten bereits vor Chinas Mietrad-Systemanbieter-Größen wie Mobike und Ofo gewarnt.
Grund: In China selbst kann man schon sehen, wohin die Reise der dort boomenden Mieträder geht. Sie werden – weil viel Freifläche versperrend – irgendwo wie auf einem Müllberg in einer Ecke so aufeinandergestapelt, dass sie keiner mehr mieten will.
Deshalb wird den europäischen Stadtoberen geraten, vor allem auf Mietrad-Systemanbieter mit Stationsgeschäft zu setzen – und dort auf solche, die nicht irgendwelche eingängigen Billig-Bikes, sondern hochwertige Modelle mit Gangschaltung, Federung sowie besseren Parts und Zubehör anbieten.
Dass sich auch Bikeproduzenten keinen Gefallen mit diesen Billig-Mieträdern tun, belegt der letzte Geschäftsbericht des in China mit großen Fabriken auftretenden führenden Taiwan-Bikeproduzenten Giant Manufacturing Co., Ltd.: Die schlechte Geschäftsentwicklung auf dem ohnehin schwächelnden einstigen (Fahrrad-)»Zukunftsmarkt China« litt im ersten Habjahr 2017 nicht nur unter der hiesigen schwachen Nachfrage, sondern laut den Taiwanern auch »unter der Popularität dortiger Mietrad-Systeme, die eine Markterholung in der ersten Jahreshälfte verhinderten«.
Nachtrag vom 31. August: Mittlerweile sollen es laut der Süddeutschen Zeitung 1.650 Pbikes sein, die quer über das Stadtgebiet verteilt abgestellt sind.
Nachtrag vom 1. September: Die Zahl der Obikes in München liegt laut dem Radverkehrsbeauftragten der Stadt München Florian Paul nun schon bei in etwa 4.000 Einheiten. Niemand weiß, wo nach oben Grenzen gesetzt sind. Allerdings meldete sich gegenüber der Süddeutschen Zeitung ein Sprecher von Obike mit dem Hinweis, dass sein Unternehmen keine Daten an Dritte verkaufe und das auch künftig nicht tun werde. Man könne sich aber vorstellen, »die Daten den Städten kostenlos zur Verfügung zu stellen«. Diese könnten damit eine Verbesserung der Infrastruktur aufgreifen (wo liegen Verkehrsknotenpunkte und Unfallquellen für Radfahrer, wo sollten neue Radwege entstehen etc.pp). Sämtliche gesammelten Daten seien anonymisiert und dienten ausschließlich «dem Tracking der Räder«.
Text/Fotos: Jo Beckendorff