Wie hat überhaupt die der Fahrradbranche nahe stehende Sportbranche das Krisenjahr 2011 überstanden? Und wie sieht ihre Zukunft aus? Das erfuhren wir von Frank A. Dassler, der auf der Hauptpressekonferenz der Ispo Munich 2012 und in seiner Funktion als Präsident des europäischen Sportindustrie-Verbandes FESI sowie als Vize-Präsident des Sportindustrie-Weltverbandes WFSGI einen ausführlichen Überblick zur nationalen und internationalen Sportindustrie und –branche 2011 und darüber hinaus abgab. Das Thema Sport-Fachhandel überließ er allerdings ganz VDS- und Fedas-Präsident Werner Haizmann.
Für Dassler ist die Sportartikelbranche eine recht krisensichere Branche: „Das meine ich insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen in Europa und der Wirtschafts-, Finanz- und Staatenkrise. In Deutschland ist die Preissteigerung allgemein von Bekleidung und Schuhen seit Einführung des Euros vor zehn Jahren mit circa fünf Prozent im Verhältnis zu anderen Branchen eher moderat ausgefallen.“
Schaue man allerdings in Richtung Südeuropa, werde auch klar, welchen weiteren Herausforderungen man gegenüber stehe: „Eine sinkende Kaufkraft bei den Konsumenten, geringe Bonität unserer Handelspartner und wirtschaftliche Unsicherheit sind auch für unsere Mitglieder ein schwieriges Terrain. Die Rahmenbedingungen sind weiterhin herausfordernd: Währungsschwankungen, hohe Rohstoffkosten, beispielsweise für Baumwolle oder für viele unserer auf Kunststoff basierenden Bauteile oder Kosten für Transport und Logistik von den Produktions- in die Abnehmerländer.“
Mit Blick auf das Krisenjahr 2011 sagt Dassler, daß es noch besser gelaufen sei als er sich das jemals optimistisch erhofft habe: „Analysten und Journalisten schreiben oft, dass nur Jahre mit so genannten Mega-Events erfolgreiche Jahre sind. 2011 hat uns da eines Besseren belehrt.“
Die Börsenwerte der Sportartikelhersteller und –händler weltweit betrugen 2011 rund 191,3 Milliarden US$ (gegenüber 2010: plus 2,7 Prozent): „Wie auch in den Jahren zuvor hat sich unser Sektor damit besser als andere Branchen entwickelt. Schätzungen für das Volumen des globalen Sportmarkts (inkl. Sportveranstaltungen etc.) für 2013 belaufen sich sogar auf über 500 Milliarden US$.“
Viele der über 1.800 FESI-Mitgliedsunternehmen verzeichneten 2011 ein Umsatzwachstum. Das zeige, dass die Unternehmen der Sportartikelindustrie mit Krisen umgehen können: „Wir orientieren uns konsequent am Konsumenten, versuchen seine Bedürfnisse zu verstehen und gute Produkte zu entwickeln.“ In den Innovationen liege der Schlüssel des Erfolges: Neue Materialien, innovatives Design, High-Tech-Produkte, und vor allem neue Wege in der
Kommunikation mit der Zielgruppe.
In einer breiten Definition des Sportmarktes seien damit Millionen Menschen weltweit mit Sportsponsoring, Events, Kommunikation, Marketing, Training, Forschung und Innovation etc. beschäftigt. „Aus globaler Sicht sind für die Sportartikelindustrie natürlich der US-amerikanische, der europäische und der japanische Markt wichtig. Aber auch und gerade die wachsenden Märkte, wie zum Beispiel Russland, China, Latein- und Südamerika tragen stark zu einer positiven Entwicklung bei,“ erklärte Dassler.
Europa stelle sich heterogen dar. Schätzungen sehen den Beitrag der Sportwirtschaft zum Bruttoinlandsprodukt in Europa bei drei Prozent. Allerdings gäbe es auch hier ein Nord-Süd-Gefälle: „Je mehr Sie Richtung Mittelmeer kommen, desto schwieriger gestalten sich die Marktumstände und die Umsätze. Die großen global agierenden Markenunternehmen tun sich sicherlich leichter, wenn sie Marktschwächen in einer Region mit Wachstum auf anderen Märkten kompensieren können. Dafür sprechen auch die Handelsaktivitäten der großen Markenhersteller sowohl im Einzelhandel als auch im E-Commerce. Hierbei zeichnet sich ab, dass die Großen der Branche nun endlich erfolgreich die neuen Medien für ihre Handelsaktivitäten einsetzen.“
Der jüngst veröffentlichte Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung sehe für Deutschland immer noch ein leichtes, wenn auch geringeres Wachstum für 2012. Diese Prognose würde durch einen Anstieg des Geschäftsklimas im Einzelhandel und ein freundliches Konsumklima zum Jahreswechsel gestützt.
Weil die Sportartikelindustrie global tätig sei, „sind wir auch in Ländern mit höheren Risikoprofilen unterwegs. Die politischen Umwälzungen in den arabischen Ländern, die für viele unserer Mitglieder geografisch zur Vertriebsregion EMEA (Europa, Mittlerer Osten und Afrika) gehören, haben auch Auswirkungen auf unsere Geschäftstätigkeiten dort. Wir begrüssen die gesellschaftlichen Entwicklungen, und wir sehen die Chance, dass der Sport einen wichtigen Beitrag zur Integration in diesen Gesellschaften im Umbruch leisten kann“.
Die Sportartikelindustrie sei mit Sportevents verbunden, sie sei global aufgestellt, sehr innovativ – und extrem wetterabhängig. Dazu Dassler: „Was wir in unserer Industrie nicht beeinflussen können ist das Wetter. Es ist ganz einfach: Wenn wir wie im letzten Jahr einen sensationellen Winter haben, dann ist das für Hersteller und Händler gleichermaßen gut und die Lager sind ausverkauft. Kommt der Winter aber erst spät und nur etappenweise, dann können wir – wie dieses Jahres geschehen – in der Zeitung alles über die Probleme der Händler lesen. Das schwierige Wetter trifft uns als Hersteller natürlich auch, denn wenn es dem Handel schlecht geht, dann ist das auch für uns nicht gut. Insofern hoffen wir gemeinsam, dass es weiterhin kälter wird, dass es ausreichend und flächendeckend schneit, und es wieder heißt: „Ski und Rodel gut!“
Aber: „2012 verspricht viele sportliche Höhepunkte, allen voran zwei herausragende Events bei uns in Europa: Die UEFA Euro 2012 und anschließend die Olympischen Spiele in London. Beide Veranstaltungen bieten die perfekte Bühne für Sportprodukte, die uns schneller, höher und weiter bringen. Ob ein Hersteller nun ein direkter Sponsor dieser Sportveranstaltungen ist oder nicht, wir sind alle involviert. Viele der Hersteller haben Athleten oder Verbände unter
Vertrag. Und was wäre der Sport ohne Spitzensportler? Sie bringen die Vorbilder für die Jugend hervor und sie sind Ansporn für Breitensportler.“
Die Sportartikelindustrie ist laut dem Adidas-Spross auch die Branche, die weltweit die höchsten Strafzölle zahlen muss. So habe die europäische Schuhindustrie über zehn Jahre lang Strafzölle auf Lederschuhe aus China und Vietnam gezahlt: „Die FESI hat sich als europäischer Verband vehement für das Auslaufen dieser aus unserer Sicht ungerechtfertigten Maßnahmen eingesetzt – eine Maßnahme, die weder den wenigen noch verbliebenen europäischen Schuhherstellern geholfen hat, noch den Weltmarkt maßgeblich beeinflussen konnte. Dramatisch ist zudem die Vorreiterrolle, die die EU in der Welt eingenommen hat. Derzeit sehen wir gestiegene protektionistische Maßnahmen in der Türkei, in Lateinamerika – insbesondere in Mexiko – und in Brasilien, um nur die wichtigsten zu nennen.“
Vielleicht greift ja das Ziel „Zero for Zero“ – also keine Zölle auf Sportartikel – in der globalisierten Weltwirtschaft zu hoch. Man stelle sich andererseits die Absurdität vor, dass heute für jedes Paar Schuhe, das aus China nach Brasilien eingeführt wird, knapp 14 US$ an Strafzöllen zu zahlen seien: „Ich darf nur der Form halber daran erinnern, dass in Brasilien in den nächsten zehn Jahren jedes Jahr ein sportliches Großevent stattfindet, allen voran die Fußballweltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele 2016. Womit sollen denn die Fußballer spielen? Wie sollen sich die vielen brasilianischen fußballbegeisterten Kinder und Jugendliche Fußballschuhe kaufen, wenn diese von ihrer eigenen Regierung künstlich verteuert werden?“
Ob es Brasilien gefalle oder nicht – es sei nun einmal Tatsache, dass China, Vietnam und Indonesien die Hauptproduktionsländer für Schuhe sind. Es sei schlichtweg nicht möglich, in jedem Land eine eigene Schuhproduktion mit allen Modellen aufzubauen, um diese immensen Strafzölle nicht zahlen zu müssen.
– Jo Beckendorff –