Die Würfel waren mit der Ankündigung von Ende Oktober eigentlich schon gefallen: Das in der Schweiz bei größeren Entlassungen vorgeschriebene Konsultationsverfahren führte wie zumeist zu keinem Sinneswandel mehr. Vorschläge zum Erhalt der Produktion kamen nicht oder wurden nicht verfolgt.
Mit dem Entscheid des deutschen Eigentümers kommt es nun zur Entlassung von mindestens 150 der 170 Beschäftigten. Ein Sozialplan sei erstellt worden und ein externes Care-Team ist im Werk als Anlaufstelle für die Betroffenen im Einsatz. Huttwils Gemeindepräsident Walter Rohrbach zeigt sich konsterniert über den Verlust des größten Arbeitgebers.
Händlerbrief: Zukunftssicherung durch Werkschließung
Klar ist: Die Produktion im Emmental wird komplett eingestellt. Am Standort Huttwil werden nur noch rund 15 Personen tätig sein. Hinweise zu deren Funktion liefert ein Händlerbrief, dessen Stil allerdings von mehreren befragten Händlern als beschönigend empfunden wurde. Zunächst heißt es, dass Flyer mit der ZEG als starkem Partner an seiner Seite die letzten turbulenten Jahre gut überstanden habe. Die Werkschließung wird als zukunftssichere Aufstellung angesichts der sich wandelnden Marktsituation beschrieben: „Auch Ihnen als Fachhändlerinnen und Fachhändlern werden die internen Veränderungen zugutekommen. Eine Weiterführung der engen und persönlichen Beziehung zu Ihnen durch unseren Außendienst ist ebenso gewährleistet wie die Erfüllung aller Aufträge.“
Dann wird noch ein verbleibender Swiss-made-Bonus hervorgehoben: „Entwicklung und Produktmanagement werden weiterhin im bernischen Huttwil angesiedelt sein, womit der Charakter von Flyer als Schweizer E-Bike-Marke fortbestehen bleibt.“ Erst gegen Schluss heißt es: „Die Verlagerung der Montage ist dagegen unausweichlich und wird für den Handel langfristig Vorteile bringen. Die internen Veränderungen werden im Laufe der kommenden Monate durchgeführt.“
Nicht mitgeteilt wird, wohin die Produktion verlagert werden soll. Kenner gehen davon aus, dass am ehesten das neue und hocheffiziente Kettler-Werk im saarländischen St. Ingbert in Frage kommt, das noch Kapazitätsreserven haben dürfte. Angesichts des dann verbleibenden Personalbestands in Huttwil kann davon ausgegangen werden, dass auch Bürojobs, etwa für Marketing und Logistik, im Rahmen von Gruppensynergien entfallen.
Völlig offen ist noch, was mit dem großen Werk mit mehreren Produktionsstraßen geschehen soll. Rohrbachs Hoffnung ist es, dass die Hallen einem neuen Unternehmen als Produktionsstätte dienen – und am Ende nicht bloß als Lagerstätten genutzt werden.
Auch CEO Kessler überrascht
Flyer war in der Schweiz ein Synonym fürs E-Bike. Niemand in der Branche hätte früher angenommen, dass die im nächsten Jahr ihr 30. Bestehen begehende Firma einmal nicht mehr in der Schweiz produzieren wird. Wohl auch nicht die EGS Beteiligungen AG, eine Tochtergesellschaft der Ernst-Göhner-Stiftung, die Flyer 2017 an die ZEG veräußerte, um der Marke „mit einem Eigner aus der Branche eine bessere Prosperität zu ermöglichen“.
Auch nach dem Übergang war von einem Abrücken vom USP „Swiss made“ sechs Jahre lang nicht die Rede. Auch setzten viele Tourismusorganisationen, Reiseveranstalter oder Spitex-Organisationen auf Flyer-Flotten, um die Wertschöpfung in der Schweiz zu behalten. „Der Entscheid zur Verlagerung ist auch für mich völlig überraschend gekommen“, erklärte CEO Andreas Kessler gegenüber der Zeitung Blick.
Er wähnte sich nicht zuletzt dank einer betriebswirtschaftlichen Rechnung auf der sicheren Seite: Noch Mitte September erklärte er dem RadMarkt, dass von den gesamten Herstellungskosten eines Flyers nur sieben Prozent auf die Arbeit entfielen.
Ein Schreiben des ZEG-Vorsitzenden Georg Honkomp an die Flyer-Belegschaft und alle Händler kurz darauf sprach allerdings die fehlenden Aufträge im laufenden und kommenden Jahr an, was Sparmaßnahmen wie Personalabbau und Lohndeckelung erfordere. Da wurde aber noch versichert, dass die notwenige Liquidität bereitstehe und Flyer weiterhin ein Schweizer Produzent bleibe. Doch seitdem musste die Lage neu bewertet werden, soviel ist klar.
Nun steht die Marke zumindest bei einem Teil der 240 Schweizer Händler auf dem Prüfstand: In den letzten drei Wochen waren Stimmen zu vernehmen, sich nach interessanten ausländischen Alternativen umzusehen, wenn Flyer nicht mehr mit dem Schweizer Kreuz antrete. Einige vermissten auch in den vergangenen drei Wochen eine Information an ihre Adresse zum geplanten Umbruch.
Text/ Foto: Peter Hummel