Falls sie überhaupt noch die Kraft dazu hatten: nachdem gestern (17. Juli) die erstmals in Frankfurt gehaltene Eurobike ihre Tore nach drei Fach- und zwei Festival-Tagen schloss, müssten sowohl bei der Messe Friedrichshafen als auch der Messe Frankfurt die Sektkorken geknallt haben. Der gemeinsame Schritt, die einst mit dem Mountanbike groß gewordene Fahrrad-Messe Eurobike aus der Ferienregion Bodensee in ein urbanes Umfeld nach Frankfurt zu verlegen und Richtung sanfter Mobilität auszuweiten, ist voll aufgegangen. Hier ist man quasi auf die Überholspur gewechselt. Diesbezügliches Lob kam von allen Seiten. Das von beiden Messegesellschaften eigens gegründete Messe-Joint-Venture Fairnamic GmbH hat beste Arbeit geleistet.
Fünf Tage lang war Frankfurt der Nabel der internationalen Fahrradwelt. Nach zweieinhalb Corona-Jahren hatte die Branche endlich wieder einmal die Gelegenheit, sich persönlich zu treffen – und sich dabei erstmals in einer urbanen Metropole zu präsentieren. Insgesamt lässt sich sagen, dass doch mehr Aussteller und Besucher aus Übersee vor Ort waren als vorab zu vermuten war. Steigende Corona-Zahlen in Deutschland sowie etwaige (allerdings bereits gelockerte) Quarantäne-Zeiten nach ihrer Rückkehr in Übersee hielten sie nicht von der Eurobike-Premiere in Frankfurt am Main ab. Die dortige Erstausgabe glänzte mit neuen Mobilitätsthemen, die vor allem in der Halle 8 von Automobilzuliefern, die das Thema sanfte bzw. grüne Mobilität für sich entdeckt haben, aufgegriffen wurden. Sie stehen für den sanften Übergang der Eurobike von einer reinen Fahrrad- zur Mobilitäts-Messe.
Durchweg positives Fazit
Laut Veranstalter Fairnamic fanden an den fünf Messetagen 33.780 Fachbesucher und 27.370 Fahrrad-Interessierte aus 105 Nationen den Weg auf das Frankfurter Messegelände (Vorjahr in Friedrichshafen: 18.770 Fachbesucher und 13.424 Fahrrad-Interessierte). Während sich die Zahl der Fachbesucher weitaus mehr als nur sehen lassen kann, ist die Publikumszahl in den kommenden Jahren sicherlich noch ausbaufähig. Trotz massiver Werbung scheint es in der im Vergleich jungen Fahrrad-Metropole Frankfurt nicht unbedingt bei allen Bürgern angekommen zu sein, was sich da in ihrer Stadt in Sachen Messe und sanfter Mobilität erstmals tat.
Fairnamic-Geschäftsführer und Eurobike-Chef Stefan Reisinger und Team freuen sich auf jeden Fall über den Premierenerfolg, an dem mehr als 1.500 ausstellende Unternehmen teilnahmen. »Ein qualitativ hochwertiges und sehr internationales Publikum hat die 30. Eurobike besucht«, bilanziert Reisinger, »trotz Reiserestriktionen, Flugstreichungen und coronabedingten Ausfällen wurde ein Niveau erreicht, wie wir es zuletzt vor der Pandemie kannten. Industrie, Handel, Politik und alle Radfans senden ein klares Signal aus Frankfurt: Der Radverkehr muss weiter gestärkt werden. Die Eurobike ist für die Branche die weltweit wichtigste Plattform und nachhaltiger Motor, um diese Transformation zu beschleunigen.«
»Was für ein großartiger Auftakt!«, fasste ZIV-Geschäftsführer Burkhard Stork nach fünf emsigen Messetagen begeistert zusammen, »die Hallen waren voll, die ausstellenden Unternehmen mit den Kontakten sehr zufrieden. Das Fremdeln mit dem neuen Messegelände war nach wenigen Stunden vorbei. Die politische Wahrnehmung, die Berichterstattung in den Publikumsmedien hat massiv zugenommen. So kann es in den kommenden Jahren mit der Weltleitmesse des Fahrrads gerne weitergehen.«
Ausblick
Im kommenden Jahr wird die Eurobike weitere Schritte nach vorne machen: Dann wird sie zum einen nicht im Juli, sondern um weitere zwei Wochen nach vorne in den Juni (21. bis 25.) rücken. Zum anderen wird sie erstmals zeitgleich mit dem Nationalen Radverkehrskongress laufen. Der findet vom 20. bis 21. Juni ebenfalls in der Mainmetropole statt.
Mit dieser Verknüpfung will das Bundesministerium für Digitales und Verkehr zusammen mit dem Hessischen Wirtschafts- und Verkehrsministerium Synergien schaffen. Beim im zweijährigen Turnus stattfindenden Nationalen Radverkehrskongress diskutieren Experten aus Planungspraxis, Wissenschaft, Wirtschaft, Politik sowie aus Vereinen und Verbänden über aktuelle Themen, Herausforderungen und Zukunftsvisionen für die Gestaltung des Radverkehrs.
Dazu Stefan Reisinger: »Wir freuen uns, dass die Eurobike am Standort Frankfurt durch die zeitliche und örtliche Verzahnung mit dem Nationalen Radverkehrskongress auch ihrem Anspruch der stärkeren politischen Positionierung in Zukunft weiter gerecht wird. Auf der Eurobike als Epizentrum von Innovation und Entwicklung des Fahrradbereichs trifft hier die Bike-Branche auf Entscheidungsträger der Politik und Wissenschaft. Das Gute: Damit findet die Eurobike deutlich vor der Hauptferienzeit in den meisten Ländern statt und kann dem Anspruch als wichtigster internationaler Treffpunkt der Fahrrad- und Future Mobility-Branche noch besser gerecht werden.«
Die Eurobike-Aussteller – und hier vor allem die Hartwaren-Anbieter – scheinen dem erneut nach vorne geschobenem Termin bei aller Euphorie über die gelungene Premiere der 30. Eurobike in der Mainmetropole allerdings eher skeptisch gegenüberzustehen. Ein Akteur fasste es mit Blick auf die auch im kommenden Jahr anhaltende Lieferproblematik sarkastisch wie folgt zusammen: »Wir bauen die Mobilität der Zukunft. Die liefern wir im dritten Quartal des Jahres 2023 aus.«
Anders ausgedrückt: Wie soll der Fachhändler seiner Kundschaft die neusten 23er-Modelle zeitlich verzögert erst im dritten Jahresquartal verkaufen können, wenn der die 24er-Modelle schon vorab – genauer gesagt Ende der ersten Jahreshälfte – zu sehen bekommt? Hier wird in Zeiten anhaltender Lieferengpässe eine weitere Hürde aufgebaut, die sowohl Anbietern als auch Fachhändlern noch große Kopfschmerzen bereiten könnte.
Text/Fotos: Jo Beckendorff