Als sich letzten Freitag die Tore der Interbike 2016 (inklusive Outdoor Demo Days 19. – 23. September) in Las Vegas schlossen, sah man nicht nur bei Interbike-Chef Pat Hus und seinem Team erleichterte Gesichter. Die US-Fahrradmesse war in Anbetracht aller Probleme im heimischen Markt, die sich im Vorfeld wie eine Wand aufgetürmt zu haben schienen, besser ausgefallen als erwartet.
Ersten Vorhersagen zufolge wird die diesjährige Fachbesucher-Zahl im Vergleich zum Vorjahr ein Minus von 10 bis 12 Prozent schlucken müssen. Die Ausstellerfläche war nach der letztjährig „größten Interbike“ um etwa 8 Prozent kleiner ausgefallen.
»Wenn man uns fragt, ob wir glücklich sind, muss ich ehrlicherweise sagen: Nein. Wenn man uns fragt, ob es schlimmer hätte kommen können, sage ich ganz klar: Ja«, brachte es Hus gegenüber dem RadMarkt am Veranstaltungsort Mandalay Bay Convention Center auf den Punkt. Fakt ist: Die Interbike reflektiert alle Negativfaktoren, die momentan das Fahrradgeschäft in den USA belasten. Diese Faktoren sind vielfältig.
Fragt man US-Branchenkenner, werden zuallererst ein paar generelle Faktoren in den Ring geworfen. Die reichen von einer tiefen allgemeinen Verunsicherung und einer negativen Stimmung im gesamten Land, die sich auch in der gegenwärtigen Politik »in einem hart umkämpften Wahljahr» wieder spiegeln. Was generell fehle sei »Leadership« – nicht nur in der Politik so, sondern auch in der US-Fahrradbranche. Jeder kocht sein eigenes Süppchen.
Darunter leidet natürlich auch der größte Branchentreff Amerikas. Weitere große Aussteller wie Felt Bicycles (im Vorjahr allerdings auch nur auf den Demo Days dabei) oder Giant Bicycles sowie bekannte nordamerikanische Premium-Marken wie Intense, Rocky Mountain oder Santa Cruz Bicycles haben sich zurückgezogen. Was wiederum den kleineren Anbietern, die weiter auf die Interbike setzen, zugute kommt.
So erklärte zum Beispiel Pivot Cycles-Gründer und –Chef Chris Cocalis, das sein Unternehmen sowohl auf den von der Aussteller- und Besucherzahl her gesehen fürchterlich abgestürzten Interbike Outdoor Demo Days im Bootleg Canyon als auch auf der Messe im Mandalay Bay Convention Center das beste jemals erzielte Ergebnis auf dieser Messe eingefahren habe.
Tatsächlich hatten Fachhändler mehr Zeit, sich mit Marken, die sie vielleicht sonst nicht auf dem Schirm haben, zu beschäftigen. Genau das macht ja einen Branchentreff wie die Interbike aus: Fachhändler können sich nicht nur über die Neuheiten und Innovationen ihrer Lieferanten, sondern auch über die der Mitbewerber informieren. Nur so – darauf weisen Branchenkenner auch in Europa (und vor allem mit Blick auf die wachsende Zahl von hiesigen Hausmessen) immer wieder hin – ist ein unabhängiger Fahrrad-Fachhändler in der Lage, einen detaillierten Überblick über das, was in der Branche vorgeht, zu bewahren.
Nichtsdestotrotz reflektiert die Leitmesse Amerikas die gegenwärtige Flaute auf dem heimischen Markt. Schon im ersten Halbjahr 2016 verwiesen müde Quartalsberichte börsennotierter Fahrradanbieter auf hohe Lagerbestände und schwache Abverkäufe. Folge: Entlassungen, Restrukturierungen – und Preisnachlässe, die bis nach Europa reichten.
Die 20-prozentigen Preisnachlässe auf bestimmte Modelle der US-Branchengrößen Specialized und Trek zu Beginn der Saison 2016 – clever als Saisoneröffnungs-Jubelangebot verpackt – beruhten unter anderem auf extreme Warenüberhänge in den USA, die man durch eine internationale Verkaufsaktion wieder halbwegs in den Griff bekommen wollte. Ob das tatsächlich gelungen hat, bleibt abzuwarten. Auf der Interbike sprachen US-Fachhändler auf Nachfrage vom RadMarkt von »extremen Druck«, dem sie weiterhin sowohl in ihren Läden als auch von Lieferantenseite ausgesetzt seien.
Eine wichtige Frage stellte sich Messechef Pat Hus im Nachhinein: »Sind wir jetzt am Tiefpunkt der Talsohle angelangt oder nicht?« Eine Antwort darauf hat er allerdings derzeit auch nicht parat.
Mehr Informationen zur Interbike 2016 in Las Vegas inklusive Produktneuheiten und Trends in einer der kommenden RadMarkt-Ausgaben.
Text/Fotos: Jo Beckendorff