Am Freitag dem 11. März arbeitete der in Japan lebende Hubert Kögel – ein Deutscher mit Wohnsitz in Yokohama – in seinem Büro in Tokio, als das große 8.9 starke Erdbeben den Nordosten des Landes lahmlegte. „Wir alle – sowohl Japaner als auch Ausländer – waren sehr erschrocken, verkrochen uns zuerst unter den Schreibtischen und rannten dann nach draußen auf die Strasse“, berichtet Kögel rückblickend. Als nächstes versuchte er, seine Frau Seiko in ihrem Haus in Yokohama sowie die beiden Kinder, die gerade in der Schule waren, telefonisch zu erreichen. Da waren aber schon alle Leitungen und Verbindungen tot. Zudem war innerhalb weniger Sekunden der komplette öffentliche Verkehr zum Erliegen gekommen. Alle Züge und U-Bahnen fuhren nicht mehr. Taxis, die noch fuhren, waren innerhalb kürzester Zeit ausgebucht. Ein Fahrrad musste her.
“Ich ging zum nächsten Fahrradgeschäft, vor dem sich schon eine Schlange gebildet hatte und wartete darauf, bedient zu werden. Ich hatte genügend Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, ob ich mir das billigste Alltagsrad schnappe oder evtl. ein Mountainbike für meine Tochter kaufe, die sowieso ein neues Fahrrad brauchte. Als ich an die Reihe kam, entschied ich mich für ein schickes Mountainbike. Das habe ich dann gekauft und bin wie viele andere auch von Tokio nach Yokohama geradelt. Ein eigentlich schöner Tripp, aber wegen der Nachbeben auch ziemlich angsteinflössend. Aber es war für uns alle die einzige Möglichkeit, an diesem Tag nach Hause zu kommen und bei der Familie zu sein.”
Warum wir das erzählen? Weil die Bikeanbieter Japans von dem Erdbeben-, Tsunami- und AKW-Disaster profitieren konnten. Der börsennotierte Filialist Asahi Co. hat landesweit an die 200 eigene und Franchise-Stores. Laut einer Meldung von Bloomberg konnte Asahi seine Verkäufe im März verdoppeln. Laut Asahi-Präsident Susumu Shimoda habe dieser Verkaufsboom bis Anfang April angehalten. Seiner Meinung nach werden sich die Verkäufe auch wieder normalisieren: “Trotzdem werden sie alleine schon wegen der steigenden Ölpreise weiter wachsen.“
Auch andere Fahrradunternehmen berichten von steigenden Verkäufen während und nach des Bebens. Shimano – bis zum 10. März und im Vergleich zum Vorjahr mit einem seichten Minus von 1,5 Prozent schaltend – konnte dieses Ergebnis innerhalb kürzester Zeit in ein Plus von 3,5 Prozent umwandeln. „Wenn Asahi von steigenden Verkäufen spricht, werden auch wir davon proifitieren“, zitiert Bloomberg Shimano’s Finanzmann Yoshihiro Hirata, „wir haben seit dem Disaster wachsende Order.“
Giant-Japan – eine 100prozentige Tochter von Taiwans größtem Bikeproduzenten – berichtet ebenfalls von Nippon-Verkaufszuwächsen im März von 23 Prozent. 2010 lagen die Verkäufe von Giant-Japan bei 90.000 Einheiten. Für dieses Jahr geht man insgesamt von einem Plus von 10 Prozent aus. Der außergewöhnliche Verkaufsboom im März sei kurzfristig.
Asahi geht für das laufende Geschäftsjahr (1.3. – 29.2.) von einem zweistelligen Verkaufsplus von 15 Prozent aus. Laut Susumu Shimoda würde man sich über jedes Verkaufsplus freuen – aber nicht unter diesen Umständen: „Meine persönlichen Gefühle sind da sehr gespalten. Ich fühle mich derzeit eher dafür verantwortlich, dafür zu sorgen, dass die Lieferungen die Nachfrage jederzeit befriedigen können.“
– Jo Beckendorff –