Der österreichische Unternehmer lenkt über seine Pierer Industrie AG und deren mehrheitlich gelenkter Tochter Pierer Bajaj AG auch eine Mehrheit an der börsennotierten Zweirad-Größe Pierer Mobility AG von fast 75 Prozent (etwa 16 Prozent sind im Streubesitz).
Zum Zweirad-Anbieter Pierer Mobility AG gehört auch die Pierer New Mobility GmbH mit ihren Fahrrad- und E-Bike-Hauptmarken Felt Bicycles, Husqvarna E-Bicycles und GasGas Bicycles.
Des Weiteren war die Pierer Industrie AG bis vor kurzem auch noch mit einer Minderheitsbeteiligung bei der Pierer 2 Radbeteiligungs GmbH an Bord. Die lenkt neben der Cargobike-Marke Johansson und der Bikeparts-Marke Syntace inklusive deren MTB-Nischenmarke Liteville auch noch den österreichischen Fahrrad-Fachhandels-Filialisten Bikes&Wheels 2 Radhandels GmbH sowie den österreichischen Fahrrad-Importeur und -Großhandel Funbike GmbH.
Pierer 2 Radhandel jetzt wie Leoni in Händen von Privatgesellschaften
Wie der RadMarkt bereits in seiner ersten Recherche über die geplante Leoni-Komplettübernahme seitens Stefan Pierer von der Pierer Industrie Investor Relations- und Sustainability Division auf Nachfrage erfuhr (siehe Online-Meldung vom 14. April), wird die einst in der Konzernstruktur der Pierer Industrie AG auftauchende Pierer 2 Radbeteiligungs GmbH jetzt über deren Mutter – der Pierer Konzerngesellschaft mbH – »von einer von Stefan Pierer mittelbar gehaltenen Gesellschaft« gehalten.
So werde auch Leoni AG – immerhin ein Großunternehmen mit weltweit 58 Tochtergesellschaften in 27 Ländern mit weltweit 95.000 Mitarbeitern, die zusammen im Jahr 2022 einen Konzernumsatz von 5,1 Milliarden Euro eingefahren haben – nach dem Gang von der Börse »über eine von Stefan Pierer direkt gehaltene Privatgesellschaft gehalten«.
Radikalem Kapitalschnitt folgt Finanzspritze und Sanierung
Nachdem Ende letzten Jahres der zum Schuldenabbau geplante Verkauf der Kabelsparte an einen thailändischen Investor in letzter Sekunde platzte, stand der strauchelnde Konzern kurz vor dem Aus. Daraufhin entwarf der mehrheitliche Anteilseigener Stefan Pierer ein Sanierungskonzept. Dieses sah einen radikalen Kapitalschnitt vor, der das Leoni-Grundkapital auf Null setzte.
Folge: die Leoni-Aktien verloren jeglichen Wert. Im Anschluss investierte Pierer frisches Kapital in das kurz vor dem Aus stehende Unternehmen – genauer gesagt 150 Millionen Euro. Dafür erhielt er neue Anteilsscheine, die ihm nun zum Leoni-Alleingesellschafter machen. Im Zuge der Restrukturierung verzichten die Gläubigerbanken auf Forderungen in Höhe von über 708 Millionen Euro. Dafür sollen sie laut Pierer 45 Prozent der Dividende erhalten, sobald Leoni wieder profitabel ist und Dividende ausschütten kann.
Für den radikalen Kapitalschnitt mit der Herabsetzung des Leoni-Grundkapitals auf Null wurde das zum 1.1.2021 in Kraft getretene Stabilisierungs- und -Restrukturierungsgesetz für Unternehmen (StaRUG) angewandt. Laut Paragraph 1 verpflichtet dieses alle Kapitalgesellschaften zur Weiterentwicklung des Krisen- und damit des Risikofrüherkennungs-Systems.
Ein Präzedenzfall?
Vereinfacht ausgedrückt: mit ihm sollen schwere Krisen vermieden werden. Laut einer Meldung in der Süddeutschen Zeitung ist es mit Blick auf Leoni und Stefan Pierer der allererste Fall, »in dem das neue Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz bei einem börsennotierten Unternehmen genutzt wurde«. Somit sind Leoni und Arbeitsplätze zuerst einmal gesichert.
Wer komplett leer ausgeht: die Altaktionäre. Die schlagen Alarm: wenn das neue Gesetz so angewandt würde wie in diesem Fall, würde das zu einem massiven Vertrauenseinbruch in den Kapitalmarkt führen.
Das sagt der DSW
Laut der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e.V. (DSW) dient das Gesetz in diesem Fall »als Steigbügelhalter für eine kalte und entschädigungslose Enteignung der freien Aktionäre«.
Während nach der Herabsetzung des Grundkapitals auf Null ausschließlich dem Hauptanteilseigner Stefan Pierer die Möglichkeit eingeräumt worden sei, im Zuge seines Sanierungsplans eine (durchaus anspruchsvolle) Kapitalspritze in ein schlingerndes Schiff zu investieren und jetzt nach dem Börsen-Aus als Alleingesellschafter »an der Zukunft des Unternehmens partizipiert«, hätten die rund 83 Prozent der Aktionäre nicht einmal die Gelegenheit gehabt, gegen das Sanierungskonzept von Pierer zu stimmen.
Laut DSW ist es auch fatal gewesen, dass der Leoni-Vorstand und -Aufsichtsrat »gemeinsam mit einem einzigen und bereits investierten Investor die Zukunft des Unternehmens ohne Beteiligung der bisherigen Eigentümer« gestalten konnte.
Dass sich die Leoni AG bereits vor dem geplatzten Kabel-Spartenverkauf in einer prekären Situation befunden hat, will DSW-Hauptgeschäftsführer Marc Tüngler gar nicht bestreiten: »Deshalb ist es zunächst nachvollziehbar, dass erhebliche Einschnitte bei den Kapitalgebern vorgenommen werden. Dass hier aber auf Kosten der freien Aktionäre allein der Großaktionär das Ruder übernimmt und zu Lasten und ohne Beteiligungsmöglichkeiten der sonstigen Bestandsaktionäre eine Sanierung allein zu seinen Gunsten vornimmt, ist weder nachvollziehbar noch der richtige Weg.«
Deshalb hat der DSW nicht nur im Namen der Alt-Aktionäre ein Gutachten in Auftrag gegeben, dass klären soll, »ob die Verwaltungsorgane der Gesellschaft pflichtgemäß gehandelt haben und inwiefern den Aktionären Schadensersatz-Ansprüche zustehen, die nach aktuellem Stand bei Leoni kalt enteignet werden«.
Hier geht es also nicht nur um den Fall Leoni, sondern grundsätzlich um die Anwendung des neuen StaRUGs bei krisengeschüttelten Unternehmen auf dem Börsenparkett.
Text: Jo Beckendorff