Auf der Ispo Munich 2022 nutzte der RadMarkt die Gelegenheit, mit Vertretern taiwanesischer Sportaussteller über die Kollegen der in ihrer Heimat so wichtigen Fahrradindustrie zu sprechen. Ihre Aussagen bestätigen, was derzeit von den Produzenten in ganz Asien zu hören ist: die Angst geht rum. Und das nicht nur bei den Produzenten in Fernost, sondern auch bei den westlichen Bikeanbietern und ihren Fachhandels-Partnern. Warum die euphorisierte Branche jetzt heftiges Magengrummeln verspürt, erfahren Sie hier.
In den letzten Jahren konnte die boomende Fahrrad- und vor allem E-Bike-Nachfrage nicht annähernd befriedigt werden. Corona-bedingte Lockdowns und die damit verbundenen Produktionsausfälle sorgten für dramatische Lieferengpässe. So traf die Warenknappheit in der Corona-Zeit auf ein zweistelliges Fahrrad- und E-Bike-Wachstum von sage und schreibe 20 bis 25 Prozent.
Ein- und Verkauf fielen komplett aus dem Gleichgewicht. Mit dem Jagdfieber auf Ware vor Augen mussten dann auch schon Ende 2020/Anfang 2021 Bestellungen für die Saison 2023 geschrieben werden. Für den Fall der Fälle stockten sowohl Anbieter als auch Händler lieber noch einmal 30 Prozent oder mehr gleich oben drauf. Sie wollten nicht mehr vor der Situation stehen, ausgabefreudigen Kunden aufgrund nicht vorhandener Ware nichts verkaufen zu können. Und vor allem: »Stornieren geht immer.«
Alles-Veränderer Ukraine-Krieg
Dann kam der weltweit alles verändernde Ukraine-Krieg. Es ist vor allem die Inflation, die den Nachfrage-Boom ausbremst. Händler, die ihre für März 2022 eingeplante Ware endlich im September und Oktober 2022 erhielten (zumindest die zu Einstiegs- und Mittelpreis-Lagen) und im Laden stehen haben, warten plötzlich auf Kundschaft. Allerdings legt die ihr Geld derzeit lieber für die nächste Heizkosten-Rechnung zur Seite als es (Stichwort Ermessenskauf) in ein Fahrrad oder E-Bike zu investieren.
Bikeanbietern geht es nicht anders. Volle Warenlager führen bereits dazu, dass erste Direktanbieter (D2C) wie YT Industries und Rose Bikes schon (teilweise zweistellige) Preisnachlässe auf bestimmte Modelle verkündeten. Weitere werden sicherlich folgen.
Vororder-Boom = Produktionsausbau, Orderstornos = volle Lager
Was Händlern und Anbietern regelrecht Angst macht: was passiert, wenn die verspätet eingetroffene Ware 2022 in den kommenden Wintermonaten nicht abgesetzt wird und ab März (wenn alles nach Plan läuft) die neue Ware eintrifft?
Selbst wenn Orderstornierungen laufen, wird sich selbst eine reduziert eintreffende Warenmenge schwertun. Brancheninsider sprechen von einer für 2023 geltenden Rate von 30 und 40 Prozent, die Anbieter bei ihren Produzenten in Asien für die nächsten 18 Monate »entweder verschoben oder komplett storniert« haben. Andere sprechen sogar von einer zwei- bis dreifachen Überbestellung, die jetzt stark verzögert in den Absatzmarkt gedrückt werden muss. Summa summarum soll es sich dabei um an die 2 Millionen »auf Halde« liegenden Fahrräder und E-Bikes handeln.
Mehr Details in der RadMarkt-Ausgabe 1/2023.
Text: Jo Beckendorff, Fotos: 1x Jo Beckendorff, 1x Merida