Laut einer Umfrage, bei der das Marktforschungsinstitut Rheingold in Köln mit der gemeinnützigen Philosophie-Stiftung Identity Foundation kooperierte, sehen 61 Prozent der Deutschen ihr Land im Niedergang. Und dann jetzt auch noch diese Meldung: letzte Woche revidierten die Wirtschaftsweisen ihre bisherige Prognose von einem 2021er-Wirtschaftswachstum von 3,7 auf 2,4 Prozent. Geht also alles den Bach runter? Mitnichten: aufgehoben heißt in diesem Falle ausnahmsweise einmal aufgeschoben.
Ein kurzer Blick auf besagte Umfrage: mangelndes Vertrauen in Staat und Institutionen sowie die Angst vor gesellschaftlicher Spaltung würden den Rückzug in private Nischen forcieren. Den geschürten Ängsten steht allerdings eine (wenn auch nun nach unten revidierte) Wirtschaftsprognose 2021 entgegen, die noch immer nicht so schlecht ist, dass eine Mehrheit der Deutschen derart pessimistisch in die Zukunft schauen muss.
Zugegeben: nachdem die Impfkampagnen im Frühjahr anliefen und dem letzten Lockdown in Deutschland erste Öffnungen folgten, war die kommunizierte Prognose von einem diesjährigen Wirtschafswachstum von 3,7 Prozent vielleicht doch etwas zu optimistisch. Sie beruhte auf der Tatsache, dass die Nachfrage weiterhin hoch war und sich die Wirtschaft nach kollektiver Impfkampagne und temporären Lock-Downs wieder schnellstens erholen würde.
Anhaltende Corona-Spannungsfelder
Richtig ist auch, dass die Wirtschaftsweisen ihre Frühjahrsprognose letzte Woche auf nur noch 2,4 Prozent senkten. Bevor allerdings Katzenjammer aufkommt: die Erholung wird nicht komplett abgesagt, sondern einfach ins kommende Jahr 2022 verschoben. Dann gehen die Ökonomen von einem Wirtschaftswachstum von 4,8 Prozent aus.
Gründe für die derzeit zwar steigende, aber immer noch nicht so wie erwartete Erholung: da ist die immer noch stotternde Lieferkette, die aufgrund von weiteren Corona-bedingten temporären Fabrik- und Hafenschließungen in Asien immer wieder eingebremst wird.
Dazu gesellt sich nun auch noch die Inflation: höhere Preise lassen Konsumenten von der einen oder anderen Anschaffung absehen. Somit wird also auch die weiterhin hohe Nachfrage etwas ausgebremst.
Regierungshilfen werden diskutiert
Wie sich die Inflation bei den derzeit exorbitant steigenden Rohstoff- und Energiekosten-Preisen wieder einfangen lässt? Da hilft momentan wohl nur ein Blick in die Glaskugel – oder nach Brüssel: zum Zeitpunkt dieses Schreibens wollen die Staats- und Regierungschefs der EU mit Blick auf die ausufernden Energiekosten über etwaige Bürgerhilfen diskutieren. So hat die Europäische Kommission bereits vorgeschlagen, dass die Mitgliedstaaten vorübergehend Steuern und Gebühren senken soll. Und in Frankreich hat sich die Regierung bereits verpflichtet, weitere Preiserhöhungen für Gas und Strom bis April 2022 zu verhindern.
Wie auch immer: rein wirtschaftlich gesehen ist die Lage nicht so dramatisch wie derzeit und laut Umfrage von den Deutschen angenommen. Das belegt auch der Aktienmarkt: da herrscht zum Zeitpunkt dieses Schreibens gute Stimmung.
Anders ausgedrückt: dort ist mehr Zuversicht als Verzweiflung angesagt – was mit Blick auf die prognostizierte Wirtschaftserholung-Verschiebung auch verständlich ist. Positive News verkaufen sich gut. Und wie gesagt: verschoben heißt nicht aufgehoben.
Text: Jo Beckendorff, Foto: EU