Auf der jeweils vorab gehalteten Ispo-Haupt-Pressekonferenz gab Frank A. Dassler, Präsident der Sportartikel-Industrieverbandes FESI, auch einige interessante Einblicke in Sachen (EU-)Strafzölle und freier Welthandel, mit denen sich sein Verband gerade beschäftigt. Diese Themen werden auch früher oder später in der Fahrradindustrie diskutiert werden müssen.
Laut Dassler sehe sich die Sportartikel-Industrie derzeit mit einer ganzen Reihe von internationalen Einflüssen konfrontiert. Einer seiner genannten Aspekte: „Die Sicherstellung eines freien Welthandels für Produktion und Absatz.“ In seiner Funktion als FESI-Präsident sieht Dassler „den freien Welthandel als Voraussetzung für Erfolg“. Anders ausgedrückt: Protektionistische Maßnahmen wie Strafzölle behinderten den Welthandel.
O-Ton Dassler: „Die teils sehr aggressiven protektionistischen Maßnahmen einzelner Staaten behindern den freien Welthandel – hier ist dringender Handlungsbedarf geboten. Nur wenn wir weltweit freien Zugang zu den Produktions- und Absatzmärkten haben, kann Sport in allen Regionen der Welt betrieben werden. Freier Welthandel bedeutet auch Sicherung europäischer Interessen, Standorte und Arbeitsplätze: Viele Unternehmen der Sportartikelindustrie folgen einem Geschäftsmodell, das der Bundesverband der Deutschen Industrie als Systemkopfmodell bezeichnet. Forschung, Entwicklung, Marketing und zentrale Managementfunktionen werden in den Firmenzentralen in Europa erbracht. Damit finden die
zentralen Wertschöpfungsaktivitäten hier statt.“
Sportbranche durch Strafzölle belastet
Und weiter: „Wir begrüssen daher ausdrücklich, dass die EU-Kommission keine erneute Untersuchung zur Verlängerung der Anti-Dumping-Maßnahmen auf Lederschuhe aus China und Vietnam durchführen will. Wenn ich der Berichterstattung in der Presse folge, dann wird die derzeit noch laufende Maßnahme am 31.03.2011 auslaufen. Nach über 20 Jahren verschiedener Maßnahmen dieser Art endet damit endlich ein den Wettbewerb beschränkendes Instrumentarium. Die Sportartikelbranche ist weltweit mit Abstand die Branche, die unter den höchsten Belastungen durch Zölle und Tarife aller Art leidet. Keine andere Branche war und ist derartigen Belastungen ausgesetzt: In den letzten Jahren mussten an den Grenzen der europäischen Union von den importierenden Schuhmarken – und damit der Mehrheit – weit über eine Milliarde Euro als Strafzölle für Lederschuhe aus China und Vietnam bezahlt werden. Gelder, die jedes betroffene Unternehmen lieber in Innovationen und Forschungsprojekte investiert hätte. Die Realität ist nun einmal so, dass bestimmte Kategorien von Sportschuhen in Europa nicht wettbewerbsgerecht hergestellt werden können – ob uns das gefällt oder nicht. Hinzu kommt, dass wir als Sportartikelmarken zumeist nicht nur für den europäischen Markt, sondern für den Weltmarkt produzieren lassen.“
Dass die FESI sich jetzt gegen Strafzölle ausspricht ist nachvollziehbar. Und zwar deshalb, weil es kaum noch eine EU-Produktion für oben genannte Produktgruppen gibt. Es gibt also kaum noch was zu schützen.
Dass dann gleich für einen freien Welthandel geworben wird, hat auch einen Grund: Was ist, wenn aktuelle Produktionsländer wie China oder Indien sich plötzlich auch als profitable Konsumentenmärkte entpuppen? Dann würde es für europäische Produzenten von Produkten, die noch in Europa produziert würden, bei einem etwaigen Einsatz von protektionistischen Strafzöllen seitens dieser jungen Konsumentenmärkte sehr schwer. Die Furcht, dass aufstrebende Konsumnationen aus Asien oder Südamerika irgendwann mit Strafzöllen arbeiten wie das beispielsweise die EU zum Schutz ihrer Industrie getan hat, kann nicht im Interesse irgendeines europäischen Industrieverbandes oder der europäischen Wirtschaft sein.
Junge Konsumnationen verstärken Abschottung
Dazu noch einmal Dassler an einer anderen Stelle: „Gerade erst erreicht uns die Nachricht, dass die Türkei zusätzlich zu den bestehenden Maßnahmen gegen Schuhe und Taschen neuerdings eine Untersuchung für eine weitere Schutzmaßnahme für importierte Bekleidung und gewebte Stoffe eingeleitet hat, die sofort mit zusätzlichen Zollsatzerhöhungen von bis zu 40 Prozent belegt ist. Auch hier ist die europäische Sportartikelindustrie massiv betroffen. Richten wir den Blick weiter in die Welt, dann haben wir mit Brasilien das nächste Problem. Es ist geradezu grotesk, wenn dieses als wirtschaftlich aufstrebend geltende und moderne Land, Gastgeber der Fußballweltmeisterschaft 2014 und der Olympischen Spiele 2016, seinen Markt schon heute abschottet und Strafzölle in Höhe von knapp 14 US$ auf jedes Paar Schuhe aus China erhebt.“
EBMA will Verlängerung
Was bedeutet das alles für die Fahrradindustrie? Noch wird eine Verlängerung des EU-Strafzolls (in Höhe von 48,5 Prozent) auf Fahrräder Made in China, die in die EU rollen, untersucht. Den Antrag auf Verlängerung stellte der Europäische Fahrradindustrie-Verband EBMA, der im Namen seiner Mitglieder weiter auf einen Strafzoll pocht. Welcher noch in Europa produzierende Fahrradhersteller allerdings EBMA-Mitglied, weiß man nicht so genau. Da hält sich EBMA-Chef Brian Montgomery ziemlich bedeckt.
Nur soviel: Die „drei Großen“ – Accell, Cycleurope und Derby – dürften dabei sein. Denn sie haben noch das größte Stück europäischer Fahrradproduktion in ihren Händen – und somit ein Pfund, mit dem sie wuchern können. Aber auch sie werden sich auf ein Auslaufen des Strafzolls einstellen müssen. Es ist nur die Frage, wann das genau sein wird. Fakt ist, dass jene Anbieter auch schon jetzt auf Rahmen aus Fernost angewiesen sind. Ohne die Fernost-Produktion könnten sie nicht genügend Fahrradrahmen für ihre Montage beziehen, weil deren Produktion schon lange verlagert wurde.
„Galgenfrist“
Somit kann der gegenwärtige Strafzoll (der bis zur Beendigung der derzeit laufenden Untersuchung aufrecht erhalten wird) bei einer etwaigen Verlängerung auch nur als zeitliche erweiterte Periode angesehen werden, in dem sich oben genannte Anbieter auf die dann ohne Strafzoll in den EU-Markt rollende Konkurrenz aus Fernost einstellen muß. Dieser Wettbewerb wird hart.
Auf der anderen Seite muß man sich aber auch fragen, was genau noch in Europa produziert wird. Und wenn diese Produktion gleich Null tendiert, werden sicherlich auch die Interessenvertretungen der europäischen Fahrradindustrie in den Ruf Dasslers nach einem freien Welthandel einstimmen.
– Jo Beckendorff –