Der Geschäftsführer der EFBe Prüftechnik, Manfred Otto, weist auf einige Aspekte zum Thema „Ermüdungsprüfungen“ hin. Hier seine Stellungnahme:
Stellungnahme anlässlich des Stern-TV Gabeltests
Zu der Sendung vom 5.6. selbst möchte ich nicht Stellung nehmen, da ich sie mir nicht angeschaut habe und mir die Arbeitsweise des Testers durch meine frühere Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am gleichen Institut zu gut bekannt ist, um mich öffentlich darüber zu äußern. Außerdem habe ich gelernt, dass es bei derartigen Sendungen nicht um Fachinformationen und Verbraucherschutz geht, sondern um Einschaltquoten – und davon verstehe ich zu wenig. Es liegt mir aber am Herzen, auf einige Aspekte des Themas Fahrrad-Ermüdungsprüfungen hinzuweisen, die gelegentlich übersehen werden.
Zunächst muss man grundsätzlich unterscheiden zwischen Herstellerprüfungen und Tests, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Während es für einen Hersteller sinnvoll sein kann, bis zum Bruch zu testen, um die Grenzen seiner Konstruktion auszuloten und die vorhanden Sicherheiten zu beurteilen, empfehlen wir unseren Zeitschriften-Partnern immer ein ausgewogenes Testdesign. Sogenannte „Kaputtprüfungen“, bei denen 50 bis 100 % aller Probanten zu Bruch gehen, mögen dem Verkauf einer Zeitschrift und der PR des durchführenden Instituts förderlich sein – beim Leser entsteht jedoch der fatale Eindruck, dass (fast) die gesamte Branche Murks baut. Bei derart überhöhten Anforderungen werden zudem Schein-Unterschiede suggeriert, die keine praktische Relevanz mehr haben, weil es uninteressant ist, ob ein Bauteil die vorgesehene Lebensdauer sieben oder achtmal übertrifft.
Der Kern des Problems ist darin zu sehen, dass speziell in Deutschland neben der DIN-Methode eine Vielzahl unterschiedlicher Ermüdungsprüfungen angeboten wird. Bei vielen Herstellern herrscht daher erhebliche Unsicherheit bezüglich der „richtigen“ Prüfmethode. Soll es ein Einstufenversuch sein, ein Mehrstufenversuch oder ein Betriebslasten-Nachfahrversuch? Müssen die Prüfkräfte Belastungen durch Pneumatik bzw. Hydraulik eingeleitet werden oder weggesteuert mit Hilfe von Exzenter bzw. Trommelprüfstand? Entspricht der geprüfte Lastfall dem Einsatzzweck der Probanten? Genügt ein Prüfling oder benötigt man mehrere? Ist die Höhe der Anforderungen angemessen? Viele solcher Fragen können nur von Betriebsfestigkeitsfachleuten beantwortet werden, die über spezielle Erfahrungen im Fahrradbereich verfügen. Es gibt aber auch einige Indizien, an denen man einen seriösen Test erkennen kann ohne hochspezialisierter Fachmann zu sein:
1. Wird das Testverfahren offengelegt?
Grundsätzlich gilt: Das Testverfahren muss so eindeutig beschrieben sein, dass es von einer ausgebildeten Fachkraft jederzeit nachvollziehbar ist und das Ergebnis somit prinzipiell überprüft werden kann. Ich wollte es nicht glauben, aber es soll tatsächlich mehrere Fälle geben, bei denen nicht nur der gebeutelte Hersteller sondern auch eine Redaktion (als Auftraggeber!) keine präzisen Informationen bekommt. Das Argument, es handele sich um schützenswertes Know-how, ist eine simple Ausrede: Ermüdungsprüfungen sind im Bereich der Fahrzeugtechnik seit mindestens fünf Jahrzehnten Stand der Technik. Wir jedenfalls legen neue Prüfkonzepte für die Normung offen. Wir freuen uns sogar, wenn sie später auch von anderen Prüfern übernommen werden, weil unsere Geschäftspartner darin eine Bestätigung unserer gemeinsamen Arbeit sehen.
2. Werden die Prüfungen gezielt an Einzelbauteilen bzw. Baugruppen durchgeführt?
Bei DIN 79100 hatten wir diesen Weg bereits Ende der Achtziger Jahre eingeschlagen, unter anderem weil der TÜV Rheinland festgestellt hatte, dass die Ergebnisse der Fahrrad-Gesamtprüfung auf verschiedenen DIN-Trommelprüfständen nicht vergleichbar waren. Auch auf ein und dem selben Prüfstand waren sie nicht zufriedenstellend reproduzierbar. Untersuchungen mit DMS-Messfahrrädern an verschiedenen real existierenden Trommel- und Bandprüfständen hatten zudem gezeigt, dass einzelne Komponenten zu schwach, andere zu scharf geprüft werden. Inzwischen ist die Prüfung von Einzelkomponenten durch ISO 4210 weltweit Standard und auch für die kommende europäische Norm völlig unstrittig.
In DIN 79100 ist die Komplettprüfung zwar neben den Einzelprüfungen erhalten geblieben, aber nur als pauschaler Test von Verschraubungen oder solchen Bauteilen, für die keine gezielten Einzelprüfungen vorgesehen sind. (Schutzbleche, Beleuchtung, etc.),
3. Erfolgt die Prüfung mit definierten Kräften?
Bei bestimmten Betriebsfestigkeitsproblemen ist es durchaus üblich, Proben oder Bauteile bestimmten Dehnungen zu unterwerfen, z.B. durch einen Exzenter. In allen einschlägigen Fahrradnormen jedoch werden konstante Kräfte vorgeschrieben. Das ist bei Betriebsfestigkeitsfragen nicht das gleiche, weil sich die Steifigkeit des Bauteils gegen Ende der Lebensdauer verändert.
4. Ist nachweisbar, dass die geplanten Prüfkräfte auch tatsächlich geherrscht haben?
Die Fahrrad-Sicherheitsnormen schreiben nicht explizit vor, dass die Kräfte während der Prüfung überwacht werden müssen. Es ist jedoch ein Grundprinzip seriösen Prüfens und Voraussetzung jedes Qualitätssicherungsgedankens, dass die Einhaltung der Prüfbedingungen überwacht und, dokumentiert wird – gerade wenn Prüfungen über viele Stunden oder Tage laufen und aus wirtschaftlichen Gründen kaum durch eine Person kontrolliert werden können.
5. Welche Referenzen kann das Prüfinstitut vorweisen?
Finden sich bei dessen Partnern eher internationale Technologieführer, die über entsprechende Ingenieurskapazität mit eigenem Prüf-Know-how verfügen? Oder handelt es sich überwiegend um „me-too“ Anbieter, denen man die erforderliche Erfahrung weniger zutraut?
Ich denke, wenn man derartige Fragen ernsthaft stellt, kann man schon ein Stück weiter kommen. Vielleicht wäre es aber auch hilfreich, wenn die Verbände erneut ein Fachgespräch organisieren wie das bekannte Expertengespräch am 28.08.1995 bei der Bundesanstalt für Straßenwesen. Damals konnte immerhin der jahrelange „Dauerfestigkeitsstreit“ mit Prof. v.d. Osten-Sacken nachhaltig beendet werden.
Waltrop, 2002-06-13
Manfred Otto
(Geschäftsführer EFBe Prüftechnik)