Vorgestern (Sonntag, 30.3.) stand das Thema „Mobilität von morgen“ auf dem Programm der ARD-Sendung „W wie Wissen“. Auch dabei: Ein Beitrag über Fahrrad-Verleihsystem-Investitionen urbaner Großräume am Beispiel von Paris. Dieses größte Verleihsystem der Welt wurde auch kurz mit Call a Bike in Deutschland verglichen. Alle interessanten Beiträge – auch dabei: „Die Welt in Zahlen – Verkehr“, „Think City – die Wiedergeburt des Elektroautos“, ZoomTown“ und „Mit dem Fahrrad in den Himmel“ – sind nachträglich auf der Webseite www.daserste.de/wwiewissen/ einzusehen. Den Beitrag von „W wie Wissen“-Mitarbeiter Dirk Beppler über die forcierten Maßnahmen von Stadtplanern in Sachen Fahrrad-Verleihsysteme drucken wir hier einmal hier für Sie in voller Länge ab.
Radfahren wird immer beliebter – gerade in den Großstädten: Denn Stadtplaner entdecken vergessene Vorzüge des Radfahrens wieder und investieren Millionensummen für fahrradfreundlichere Städte.
In Paris startete im vergangenen Herbst das weltweit größte Fahrradleihsystem. Und zwar mit Erfolg. Das soll erst der Anfang sein, denn, da sind sich Verkehrsforscher einig, aus den Innenstädten von morgen sind Fahrräder nicht wegzudenken.
Schneller als die „Metro“
Velib-Fahrräder stehen am Straßenrand. Josué Remoué fährt Rad – aber nicht sein eigenes, sondern ein geliehenes von „vélib“. Seit einem halben Jahr ist er so jeden Tag schneller und günstiger unterwegs als per Metro oder Bus: „Ich nehme das Rad unter der Woche jeden Tag, um zur Arbeit zu kommen. Das macht jeden Morgen etwa 15 Minuten auf dem Rad.“ Er ist nicht der Einzige: Einheimische, Touristen und auch viele Pendler, die mit der Metro ins Zentrum Paris fahren, steigen dort aufs Rad um.
Die Stadt Paris sieht im Fahrrad eine echte Chance im Kampf gegen den drohenden Verkehrskollaps der Millionenstadt. Denn das Fahrrad ist das energieeffizienteste aller Fortbewegungsmittel. Es schlägt den Fußgänger um den Faktor zwei, und das Auto um den Faktor fünfzig.
Seit 2001 wurden über 350 Kilometer Radwege in Paris angelegt und im vergangenen Herbst startete das Projekt „Velib“: 14.000 Leihräder quer durch Paris in über ein Tausend Leihstationen. Das weltgrößte Leihrad-System hat Erfolg: Jeden Tag finden im Schnitt 135.000 Entleihvorgänge statt.
Billig und einfach
Der Verkehrsforscher Tilman Bracher vom Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin weiß, warum und kennt auch die Unterschiede zum deutschen System „Call-a-bike“. „Die Verfügbarkeit ist in Paris viel größer, weil es viel mehr Räder sind, weil sie zu einem viel günstigeren Preis angeboten werden – ein Euro pro Stunde statt 4,80 Euro wie bei der deutschen Bahn – und weil der Ausleihvorgang viel einfacher ist in Paris, während das DB-System mit Anmeldung, Registrierung, Handy-Anwahl doch recht kompliziert ist.“
Großes Supportteam hält „Vélib“ am Laufen
Damit alles reibungslos klappt, wird in der „Vélib“-Zentrale das Treiben beobachtet. Für jede Station steht ein Kreis. Rot bedeutet, dass die Station ganz voll oder ganz leer ist. Um das zu vermeiden, dirigiert der Planer 20 Transporter quer durch die Stadt. Oft sind die Stationen in der Gegend um Montmartre leer. Klar, denn Radler heizen lieber den Berg herunter, als bergauf zu strampeln.
Alle etwas höher liegenden Stationen werden deshalb täglich dreimal aufgefüllt. Die Transporter sammeln Tag für Tag etwa 2.000 Räder an anderen Stationen ein. Fahrräder, die schlecht in Schuss sind, bringen sie in eine der zwölf eigenen Werkstätten.
Erste halbe Stunde kostenlos
Das System muss allerdings zu etwa 80 Prozent bezuschusst werden, aber das ist es der Stadt wert. Ein Jahresabo für Nutzer kostet 30 Euro. Damit das System ideal funktioniert, sollten die Nutzer das Rad immer direkt nach der Fahrt wieder zurückgeben. Deshalb kostet die erste halbe Stunde nichts – das zieht.
Thomas Valeau, Mitentwickler von „Vélib“ von der Firma JCDecaux, kennt die genauen Zahlen: „Mehr als 95 Prozent der Pariser nutzen das Vélib weniger als eine halbe Stunde. Im Schnitt leihen sie es 20 Minuten und fahren damit zwei Kilometer. Fast immer zwischen einem und drei Kilometern. Das reicht auch völlig aus, um von Zuhause zur Arbeit oder in die Schule oder zum Einkaufen zu kommen.“
Mit dem Rad sicher durch Paris
Oft teilen sie sich eine Spur mit Bussen und Taxen. Das ist gewollt. Tilman Bracher erklärt warum Radfahrer auf die Straße gehören: „Ich denke, was der große Vorteil von einer großen Zahl von Radfahrern wie wir sie jetzt in Paris haben ist, dass die kritische Masse erreicht wird. Und dann wird der Radverkehr auch sicher. Dort, wo man nur vereinzelt Radfahrer unterwegs sind, sind die Autofahrer nicht darauf eingestellt.“ Die Autofahrer in Paris sollen lernen, Rücksicht zu nehmen.
Doch leider klappt das noch nicht ganz. Josué Remoué spürt das jeden Tag: „Es vergeht nicht ein Tag, an dem nicht etwas Kleines passiert, was schnell auch viel ernster werden könnte. Bisher hab ich immer Glück gehabt. Hier in Paris ist es wirklich gefährlich.“
Seit Herbst 2007 sind siebzig Prozent mehr Fahrräder unterwegs. Prozentual haben die Unfälle seither abgenommen.
Die mobile Zukunft auf zwei Rädern
Auf jeden Fall soll das System ausgebaut werden. Thomas Valeau erklärt: „Wir analysieren die jetzigen Bewegungsmuster und werden das System anpassen. Mit 400 Stationen mehr schaffen wir noch mehr Ausleihpunkte. Außerdem passen wir auch die Größe der bestehenden Stationen an den beobachteten Bedarf an.“
Paris ist inzwischen Vorbild für andere europäische Großstädte, das sieht auch Tilman Bracher so. „Ich denke, das innerstädtische Leben hat eine Renaissance. Im Moment. Und, um in der Innenstadt mobil zu sein mit den Distanzen, die in den Innenstädten üblich sind, ist das Fahrrad das ideale Verkehrsmittel.“
Noch nicht überall. Der „Place de l’etoile“ gilt als einer der gefährlichsten Plätze weltweit. Bisher herrschen hier Autos, LKWs und Busse, doch wie sieht es in zehn Jahren aus? Immerhin: Die ersten kühnen Radfahrer beginnen mit der Eroberung.
Quelle: www.daserste.de/wwiewissen/
Bearbeitet von: Jo Beckendorff