Der US-amerikanische Fahrrad-Journalist, Buchautor und Custom-Bike-Builder Lennard Zinn feierte am 13. August das 40-jähriges Bestehen seines Unternehmens Zinn Cycles. Dazu hatten er und seine Frau Sonny alte Weggefährten, Freunde und Kunden in den erst im März in Louisville (16 Kilometer südöstlich der »Sportstadt« Boulder/Colorado) bezogenen Showroom geladen.
In der Pandemie hatte sich die Zinn Cycles-Nachfrage dermaßen erhöht, dass die heimische Doppelgarage nicht mehr ausreichte. Somit wurde im März dieses Jahres ein allererster eigener Ausstellungsraum mit Lager & Co. angemietet.
Welches Know-how Zinn sich im Laufe seiner Fahrrad-Karriere aneignen konnte, erfuhr der RadMarkt-Redakteur schon bei seinem Zinn-Besuch im Jahr 2007. Damals half der Branchenkenner dem deutschen Kollegen bei seiner Recherche über all die kleinen feinen Rahmenbauer rund um Boulder, die mit »Handcrafted in Colorado« keine Massenware vom Band, sondern maßgeschneiderte individuelle Rahmen für echte Fahrrad-Fans bauen. Dank Zinn tauchte der RadMarkt-Redakteur in eine lokale Fahrrad-Produktionswelt heimischer Nischenschmieden ein, die in Europa kaum einer kennen wird.
Lokale Nischen-Schmieden
Damals baute zum Bespiel Cutting Edge Design für Zinn Cycles CNC-gefräste »Custom-Kurbelarme« in Längen bis 220 Millimeter, die es sonst kaum zu kaufen gibt (in Deutschland bietet zum Beispiel Einzelkämpfer Uwe Marschall mit seiner kleinen feinen Custom-Schmiede Marschall Framework am Möhnesee ebenfalls Kurbelarme in dieser Länge). Rahmenbauer wie Dean Ultimate Bicycles (heute Dean Cycle Works), Elbrus Cycles, Lenz Sport, Nobilette Cycles, Paketa Cycles und Tiemeyer Cycles produzieren rund um Boulder Maßrahmen aus Titanium, Aluminium, Stahl, Karbon und Magnesium. Zinn selbst startete mit Stahlrahmen durch, kann aber auch auf die Expertise oben genannter Nischenanbieter setzen – und somit für jeden seiner Kunden die richtige Material- und Rahmenwahl treffen. Die werden dann nach seinen Maßangaben »Handcrafted in Colorado« gebaut.
Kunden-Fokus XXL
Lennard Zinn war selbst ein erfolgreicher Rennrad-Fahrer. Als Mitglied der US-Radsport-Nationalmannschaft im Olympischen Trainingszentrum von Colorado Springs baute er im Physiklabor des Colleges schon seinen ersten Fahrradrahmen. Mit seiner Größe von über 1,90 Meter lernte er dabei aber auch die Schwierigkeiten kennen, die XXL-Menschen bei ihrer Fahrrad-Wahl haben. Somit fokussierte sich Zinn mit seiner 1982 gegründeten eigenen Marke Zinn Cycles auf XXL-Rahmen, die er dann mit Markenkomponenten individuell für seine Custom-Kundschaft aufbaut.
Während des RadMarkt-Besuchs 2007 schaute zum Beispiel ein über zwei Meter großer schwergewichtiger Basketballer in Lennard Zinns (damals noch heimischer) Werkstatt vorbei. Dem wollte kein vollgefedertes Mountainbike von der Stange passen. Zinn nahm Maß, ging mit Blick auf Rahmenmaterial, -form und Co. auf die individuellen Kundenwünsche ein, erklärte, was machbar ist und was nicht. Einige Wichen später hatte er einen weiteren Kunden glücklich gemacht.
So hat Zinn Cycles in seiner 40-jährigen Geschichte mehr als 2.000 XXL-Rahmen aus fünf Materialien Custom-Made aufgebaut und verkauft. Anfangs handelte es sich zum Großteil um Rennräder und Mountainbikes. Heute gesellen sich Fatbikes, Gravel-/Cyclocross-Bikes, Touring- und Alltagsräder sowie E-Bikes dazu.
Zinn & the art of…
Neben seiner eigenen Fahrrad-Marke Zinn Cycle hat sich der US-Amerikaner aber vor allem als Buchautor einen internationalen Namen gemacht. Seine Reparatur-Bücher mit Titeln wie »Zinn & the Art of Road Bike Maintenance«, »Zinn & the Art of Triathlon Bikes«, »Zinn’s Cycling Primer«, »The Mountain Bike Performance Handbook« und »The Mountain Bike Owner’s Manual« sind nicht nur in seiner Heimat echte Klassiker. Von denen wurden bis dato weltweit an die 800.000 Exemplare verkauft.
Letztendlich sorgte sein 2018 von ihm in Co-Produktion mit Christopher J. Case und John Mandrola veröffentlichtes Buch »The Haywire Heart – How too much exercise can kill you, and what you can do to protect your heart« für Furore. Erstmals beschäftigte sich ein ehemaliger Radsportler mit der Frage, ob zu viel Sport krank machen kann.
Etwa fünf Jahre zuvor hatte Zinn nach einem harten Training erstmals Herzrhythmusstörungen entwickelt, mit denen er bis heute leben muss. Das Thema ließ ihn nicht mehr los. In »The Haywire Heart« veranschaulicht er die direkte Beziehung jahrelangen harten Trainings und Rennens zu einer erhöhen Anzahl an Herzrhythmusstörungs-Erkrankungen.
Bei Zinn waren sie so weit fortgeschritten, dass er etwaige Steigungen mit dem Bike nicht mehr meistern konnte, ohne dass seine Herzfrequenz unkontrolliert hochging. Folge: Diverse Arrhythmie-Vorfälle.
Advantage E-Bike
So gelangte der Branchenkenner auch schon viel früher als seine Landsleute an das Thema E-Bike – und zählt bis heute zu einer der ganz wenigen Nischenanbieter, die auch von Bosch eBike Systems Americas beliefert werden.
Normalerweise schaut sich Bosch seine Geschäftspartner genau an. Bestimmte Stückzahlen spielen dabei sicherlich auch eine Rolle. Beim international anerkannten Branchenkenner Lennard Zinn wurde eine Ausnahme gemacht. So ist er unter anderem auf einem maßgeschneiderten Titan-Straßenrahmen mit »e« unterwegs.
Dass Lennard Zinn das 40. Jubiläum seines Unternehmens in einem Jahr feiern konnte, in dem auch erstmals ein eigener Zinn Cycles Showroom vor Ort ist und dieser sich auch bestens für eine gebührende Feier eignete, rundete die ganze Sache noch einmal richtig ab.
Text: Jo Beckendorff, Fotos: 3x Zinn Cycles, 1x Jo Beckendorff