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Velo-City 2016: Industrie sollte mehr in Lobbyarbeit investieren
Sprach Klartext: John Burke

Ein Highlight auf den »Industry Days« der Velo-City Global Konferenz 2016 in Taipeh (27.2.-1.3.): Die Plenarversammlung mit dem Thema »Keep turning – The role of the cycling industry«. Auf der Bühne diskutierten: Die Industriegrößen Antony »Tony“ Lo (Bild unten) – CEO von Giant Global Group und Vorsitzender der Taiwan Bicycle Association (TBA), John Burke (Präsident von Trek Group, Bild rechts) sowie der Generalsekretär des Weltsport-Industrieverbandes (WFSGI) Robbert de Kock (bild unten). Vor allem John Burke las der Fahrradindustrie in Sachen Lobbyarbeit die Leviten – und sprach Klartext.

Burke kritisierte, dass Fahrradunternehmen zu wenig in Lobbyarbeit investieren. Leute aus der Industrie müssten sich mehr zum Radfahren und diesbezüglicher Lobbyarbeit verpflichten: »Natürlich tun sich da schon weltweit sehr viel gute Sachen. Und trotzdem – wir haben noch einen langen Weg vor uns. Was wir uns fragen müssen: Wie kommen wir da hin, wo wir hin wollen?«
Welche Rolle die Industrie dabei spielen kann, zeige sich am Beispiel Taiwan. Mit der Schaffung des A-Teams – einem vor nunmehr 14 Jahren gegründeten Zusammenschluss hochwertiger heimischer Premium-Fahrrad- und Fahrradteile-Anbieter – habe man sehr stark in Sachen Lobbyarbeit investiert. Die Früchte dieser Arbeit würden nun eingefahren. Taiwan steht nicht mehr nur für Fahrradproduktion, sondern für eine führende Fahrradnation. Das habe man – mit Hilfe der Industrie an den richtigen Schalthebeln gedreht – innerhalb kürzester Zeit erreicht.
Für Burke ist die Sache an sich sehr einfach: »Fahrräder stellen für jede lebenswerte Stadt eine einfache Lösung dar.« Es geht aber nicht nur um wachsende Bikeverkäufe. Es geht »um Klimawandel, urbane Verkehrsüberlastung und Fettleibigkeit«. Lobbyarbeit stehe dafür, dass man sich fürs Fahrrad, für die Umwelt, für eine lebenswerte Stadt und eine globale Gesundheit einsetzt.
Der Schlüssel, um Leute tatsächlich aufs Fahrrad zu kriegen, liege nun einmal in der Schaffung einer diesbezüglichen Infrastruktur. In diesem Zusammenhang verweist der US-Amerikaner aus New York: »Diese Stadt hat sich dank geschaffener Radwege innerhalb von elf Jahren zu einer Fahrradstadt entwickelt. Oder nehmen Sie Los Angeles. Da wurden eigene Busspuren- und Fahrradwege angelegt. Heute gibt es dort 50 Meilen Radwege. Bis 2035 will man das Netzwerk auf 300 Meilen ausbauen!« Fazit: »Die Welt verändert sich. Mehr und mehr Leute steigen aufs Rad – und das macht die Veränderung aus.«
Die Lösung für den weiteren Vormarsch des Fahrrads sieht John Burke in Lobbyarbeit: ”Eine gute lokale Lobbyarbeit plus Regierungsinteresse sowie Industrie-Support steht für Erfolg.«
Jeder Branchenteilnehmer sollte seinem Bikeunternehmen und sich selbst folgende vier Fragen stellen: »Ist Ihr CEO aktiv daran beteiligt, eine fahrradfreundlichere Welt zu erschaffen? Würden lokale und nationale Fahrrad-Lobbyisten bestätigen, dass Ihr Unternehmen ihre Arbeit unterstützt? Ist Ihr Unternehmen aktiv beteiligt, Regierungsorganisationen in Sachen Fahrrad aufzuklären und ihnen die Vorteile des Radelns zu erklären? Hat Ihr Unternehmen Verantwortung übernommen, Ihre Heimatstadt, Ihr Land oder ihre Nation in einen fahrradfreundlicheren Ort zu verwandeln? Für jedes ‚ja’ geben Sie sich einen Punkt!«
Fahrradanbieter sollten einen bestimmten finanziellen Betrag in Lobbyarbeit stecken. Trek würde zum Beispiel in seiner Heimat von jedem Helmverkauf einen US$ für Programme in fahrradfreundlichere Gemeinden investieren. Von jedem Mountainbike-Verkauf flössen 10 US$ an die Internationale Mountain Bicycling Association IMBA. Burke hofft, dass andere Bikeanbieter diesem Beispiel folgen – nicht nur in den USA, sondern weltweit.

Giant Global Group Chef Tony Lo wies darauf hin, dass sein Unternehmen dazu beigetragen habe, Taiwan zu einer Fahrradinsel zu transformieren. Man habe nicht nur für verschiedene Menschen verschieden Fahrräder für verschiedene Einsatzzwecke kreiert sowie mit Liv eine allererste reine Frauenmarke und mit Momentum eine Lifestyle-Marke geschaffen, sondern auch in das Radeln an sich investiert. Neben der Arbeit des bereits genannten A-Teams verweist Lo auf das eigens von Giant aus der Taufe gehobene Radreise-Unternehmen Giant Adventure Co., Ltd. und auf das sehr erfolgreiche Mietrad-System Youbike. Über Giant Adventure habe man auch viele Landsleute zum Radeln gebracht. Die Inselumrundung »Formosa 900« wurde zu einer Radtour, die jeder Taiwaner zumindest einmal in seinem Leben gemacht haben sollte. Das Radwegenetz von Taiwan wurde auf mehr als 4.000 Kilometer ausgebaut. Und mit Youbike habe man das bisher am meisten genutzte Mietradsystem auf die Beine gestellt.
Fazit: Heute gilt Taiwan – was das Zusammenspiel von Industrie- und sonstigen Branchenvertretern, Fahrrad-Lobbyisten und Regierung betrifft – als echtes Vorbild.

Letztendlich wies WFSGI-Generalsekretär darauf hin, dass die Fahrradindustrie zwar sehr bekannt aber nicht gerade sehr reich sei: »Verglichen mit der Größe anderer Industrien ist die Fahrradindustrie ein Witz.« Was die Sache weiter erschwere: Die Fragmentierung der Branche.
Auf der anderen Seite sei aber auch klar: »Wenn jeder Fahrrad- und Sportanbieter 100 Euro investieren würde – Mann, was könnten wir für eine gute Lobbyarbeit leisten!«

Text/Fotos: Jo Beckendorff

 

 

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