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Velo-City: Ein schneller Ritt durch die internationale Mietrad-Welt
Chih-Lin Chung berichtete über Youbike in Taipeh.

Eines der vielleicht spannendsten Gesprächsrunden der Velo-City Global Conference 2016 (27.2.-1.3.) in Taipeh spielte sich sicherlich rund um das Thema Mietrad-Systeme ab. Auch dabei: Die mittels Speed-Dating-Methode ausgerufene »Public Bike Sharing Tour«. Jeder der zehn anwesenden »Presenter» hatte jeweils fünf Minuten Zeit, sich und seine Arbeit den Velo-City-Besuchern vorzustellen. Der RadMarkt hat diesen wilden Ritt durch die globale Mietradsystem-Welt vor Ort mitgemacht.

Zehn große runde Tische waren wie in einem chinesischen Restaurant aufgebaut. An jedem nahm ein »Presenter« Platz. Moderiert und zeitlich streng überwacht wurde das Ganze von Cycling Lifestyle Foundation-CEO Vicky Yang. Die Besucher dieses Speed-Datings rasten von Tisch zu Tisch. Der RadMarkt-Redakteur versuchte, irgendwie mitzuhalten. Hier seine aufgeschnappten Eindrücke zu den Entwicklungen der jeweiligen Mietrad-Systeme.

Der Brasilianer Pedro Pimentel de Vassimon stellte seine Studie über 50 brasilianische Städte, die Mietrad-Systeme anbieten oder anbieten wollen, vor. Was für diese Systeme spricht: »Mittlerweile leben 54 Prozent der Brasilianer in Städten«. Wo es derzeit noch besondern hakt: »Die Betriebskosten in den Griff zu kriegen«. Studienfazit: Öffentliche Mietrad-Systeme schneiden besser ab als öffentlich-private und rein private Mietrad-Systeme. Das sei unabhängig von der Größe der Stadt bzw. des Rental-Systems.

Der Taiwaner Chih-Lin Chung (Bild rechts) von der Tamkang University Taipei berichtete über Fahrtrouten-basierende Merkmale bei der Nutzung des Mietrad-Systems Youbike in Taipeh. Besonders auffällig: »Zehn der am häufig genutzten Mietrad-Stationen befinden sich an Metro-Haltestellen.« Taipehs Youbike ist das bestgenutzte Mietrad-System der Welt. Jedes Youbike wird täglich im Schnitt 10,34 Mal ausgeliehen. Zum Vergleich: Das zweitbest genutzte Mietradsystem in New York bringt es auf eine tägliche Ausleihe von 8,3 – gefolgt von Paris (6,7) und London (3,1).

Der US-Amerikaner Russell Meddin (Bild unten) ist Macher der globalen Mietrad-System-Webseite www.bikesharingmap.com. Auf der dort abgebildeten Weltkarte sind die aktuell laufenden Mietrad-Systeme in Grün abgebildet. In Blau sind die derzeit geplanten und sich im Aufbau befindenden eingetragen und in Rot alle jene, die sich wieder vom Markt verabschieden mussten. Generell meint Meddin: »Seit 2007 sind Mietradsysteme stark im Kommen. Ende 2015 waren weltweit schon 1,27 Millionen Mieträder im Einsatz – davon alleine 1,036 Millionen in China.« Was die Anzahl der Mietradsysteme betrifft, führt Europa mit 471. Insgesamt gebe es weltweit mehr als 1.000 Mietrad-Systeme. Was Meddin als heißesten Mietrad-Trend ausgemacht hat: »E-Bikes.«

Der Japaner Tsugumichi Ishihara (Bild unten) beschäftigt sich mit Trends und Perspektiven von Mietrad-Systemen in seiner Heimat – und im Zusammenhang mit dem Bau von Fahrradwegen. In Nippon gibt es derzeit keinen landesweit groß agierenden Mietrad-Anbieter, sondern viele lokale Anbieter mit jeweils nicht mehr als 200 Mieträdern.
Mehrere Städte würden Mieträder anbieten. Was es nicht gibt: Mietrad-Stationen. Die würden auch nur Sinn machen, wenn es gute Radwege gäbe. Derzeit sieht Ishihara nur vier von 21 Städten, die auf ein Fahrradwege-Netz setzen (zum Beispiel Saitama und Kanazawa).
Was der Japaner aber als echte Chance sieht: Die Olympischen Spiele in 2020. Die würden sicherlich auch dem Thema Mietrad in Japan gehörig Auftrieb geben.

Der Taiwaner Jiun Ming Chang beschäftigt sich mit der Planung und dem Management von Youbike in Taipeh. Seit 2009 ist das von Bikeproduzent kreierte Mietrad-System in der Taiwan-Metropole vor Ort. Besonderer Vorteil des bestgenutzten Mietrad-Systems (pro Tag 50.000 Trips): »Die Registrierung ist sehr einfach via Smartphone zu handhaben und es fällt kein jährlicher Beitrag an.«
Die Kehrseite der Medaille: Selbst Youbike arbeitet bisher nicht profitabel. Den Break-Even erhofft man im Jahr 2019. Bis dahin würden auch die staatlichen Förderungen wegfallen.
Diesbezüglich wurde bereits vorgesorgt: Um noch mehr Einwohner auf Youbike zu setzen, wurden 2015 die Preise gesenkt. Zahlte man seit 2012 für die ersten 30 Minuten 10 TSD (0,28 Euro), sind es seit 2015 nur noch 5 TWD (0,14 Euro). Fazit Chang: »Seitdem die Preise gesenkt wurden, greifen mehr Bürger zu und sorgten für ein Umsatzwachstum.«
Bis 2018 will man mit 400 Mietstationen vor Ort sein. Für den Aufbau neuer Stationen würde man auf die Analysen einer diesbezüglichen Software-Studie zurückgreifen. Derzeit sind es laut Chang 222 Stationen. Insgesamt stehen in der Taiwan-Metropole derzeit 7.000 Youbikes zur Verfügung.

Changs Landsmann Yu-Ting Hsu befasst sich ebenfalls mit Mietrad-Systemen. Er untersucht die Verhaltensweisen von Mietrad-System-Usern am Beispiel von Youbike in Taipeh. Wahrscheinlich ist auch die Menge der wissenschaftlichen Studien und Untersuchungen, die es zu Youbike in Taipeh bzw. Taiwan gibt, ein großer Schlüssel zum Erfolg.
Wie auch immer – Hsu sieht als Hauptproblem die Tatsache, dass zu Stoßzeiten an manchen Mietrad-Stationen keine Bikes mehr zur Verfügung stehen: »Selbst wenn sie 20 Minuten warten, werden Sie kein Bike bekommen.«
Deshalb müsse man genauer untersuchen, wann und wo Mieträder gefragt sind – und diese Nachfrage dann auch schnellstmöglich befriedigen.
Was Hsu auch noch sagte: »Studenten gehören zur größten Youbike-Nutzergruppe.« Ob die allerdings immer die Geduld aufbringen, auf Mieträder zu warten, ist eine andere Frage.

Sorawit Narupiti (Bild unten) von der Fakultät für Engineering an der renommierten grünen Chulalongkorn University (CU) in Bangkok hat sich ebenfalls wissenschaftlich mit dem Bike-Tracking des CU-Mietradsystems auseinander gesetzt.
Was man dank eines eingesetzten Bluetooth-Scanners in der Stadt und in Zusammenhang mit einem über das Smartphone laufenden GPS-Rootingsystems bestmöglichst in Erfahrung bringen könnte: Wie ticken die Mietrad-User?
Dazu meint Narupiti: »Ein GPS-System ist gut, aber nicht immer ausreichend.« Man müsse die Nutzer natürlich fragen, ob sie mit dem Einsatz der Bluetooth-Scanner für ein Root-Tracking einverstanden seien. Ziel sei es auf jeden Fall, den jeweiligen Mietrad-Anbietern mittels beider Tracking-Systeme genaueste Info liefern zu können. Ob allerdings alle User mitspielen, hängt wohl von Land zu Land und der dort vorzufindenden Sensibilität in Sachen Datenschutz ab.

Der US-Amerikaner Lee Patrick Jones untersucht den Einfluss von Mietradsystemen in großen und kleinen Städten in den USA – und wie diese die Urbanisierung beeinflusst hätten.
Nur zehn (US-)Städte hätten mehr als eine Millionen Einwohner. Davon wäre nur eine ohne Mietradsystem (Dallas/Texas). 2009 habe es nur in zwei Metropolen Mietradsysteme gegeben (Washington/DC und Chicago/Illinois). Beide wurde innerhalb eines Jahres wieder eingestellt.
2010 folgte ein zweiter Anlauf. Vier Systeme legten in vier Städten los. 2015 sind es »mehr als 50 Systeme«. In den kommenden 12 Monaten würden zehn weitere hinzustoßen.
Jones hat drei Systeme genauer untersucht: Das öffentlich-private Mietrad-System in San Antonio/Texas, das alleine auf private Investoren setzende Mietrad-System in Kansas City/Missouri sowie das auf öffentliche sowie private Gelder von lokal ansässigen Unternehmen setzende Mietrad-System in Indianapolis/Indiana.
Alle drei Systeme setzen auf privates Investment. Und alle drei Systeme hätten dazu geführt, dass die Grundstückspreise an den Orten, wo das Mietradsystem arbeitet und genutzt wird, gestiegen seien.

Der Chinese Zhigao Wang untersucht den Einfluss von Mietrad-Systemen auf den öffentlichen Nahverkehr am Beispiel von Beijings Public Bike Service System. Die operativen Kosten für dieses Mietradsystem würden von den jeweiligen Distrikten getragen. Insgesamt stünden in Peking 50.000 Mieträder zur Verfügung. Hauptproblem sei, dass das System keinerlei Gewinn abwerfen würde und somit auf stattliche Förderung angewiesen sei.
Wangs Vorschlag: Die öffentlichen Verkehrsbetriebe sollten das Mietradsystem als das Verkehrsmittel für die letzten Kilometer finanziell unterstützen. Schließlich würden sich alle Mietrad-Stationen in der Nähe der Haltestellen des öffentlichen Verkehrswesens befinden.
Fakt sei: »Die durchschnittliche Fahrstrecke eines Mietrads liegt bei 3,5 Kilometer.« Zum Vergleich: Die Durchschnittsstrecke einer Busfahrt liegt in Peking bei 8,5 Kilometern. Somit müsste man auch mit Hilfe der öffentlichen Verkehrsbetriebe die letzten Kilometer von der Haltstelle bis zur Haustür mit promoten.

Last but not least berichtete Wang-Landsmann Yuanxin Sun (Bild unten) über die Auswertung seiner Studie über das Beijing Public Bike Service System und dessen Optimierung. Die 50.000 Mieträder in Peking würden an 1.730 Stationen »von 6 Uhr morgens bis 24 Uhr abends« angeboten (Stand 2016). 2015 wurden mit den Mieträdern täglich 48.000 Trips zurückgelegt.
Somit sei das System von den Bürgern bestens angenommen worden, würde allerdings immer noch keinen Gewinn abwerfen. Oberstes Gebot sei es, das System vor allem langfristig auf finanziell gesunde Beine zu stellen.
Suns Vorschlag: Das bestehende System noch mehr zu verdichten – und somit ein uneffizientes operatives Management auszuschließen.
Wie das genau geschehen könnte? O-Ton Sun: »Da das Mietrad vor allem auf den letzten Kilometern der urbanen Mobilitätskette zum Einsatz kommt, sollte das Stations-Netzwerk nicht nur an den Haltestellen der öffentlichen Verkehrsbetriebe verdichtet werden, sondern auch an anderen belebten Gegenden wie zum Beispiel in Gebieten mit viel Verwaltungs- und Büroflächen.«

Fazit nach 50 Minuten-Schnelldurchgang in Sachen globaler Mietrad-Systeme: Sie haben sich weltweit durchgesetzt. Was allen gemeinsam ist: Bisher wirft keines Gewinn ab.
Heißt auch: Es ist ein Zuschuss-Geschäft, das aus welchen Quelle auch immer auf Geldquellen angewiesen ist. Ob diese aus öffentlicher oder privater Hand kommen, ist egal.
Der Ansatz, öffentliche Verkehrsbetriebe als Unterstützer/Investoren an Bord zu holen, ist einleuchtend. Schließlich können sie sich am besten mit einem Angebot auf den letzten Kilometern von der Haltestelle bis zur Haustür in Szene setzen. Somit würden sie die letzten Meter der jeweiligen Mobilitätskette als weitere Serviceleistung für ihre Kunden schließen.
Das geschieht derzeit zum Beispiel in München, wo die öffentlichen Verkehrsbetriebe gerade das MVG-Rad aufbauen. Einziger Wermutstropfen: Das MVG-Rad geht in direkte Konkurrenz mit dem dortigen Bahnrad-System Call-a-Bike. Und das in einem Markt, auf dem bisher noch niemand in die Gewinnzone gerutscht ist – siehe oben.

Text/Fotos: Jo Beckendorff

 

 

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